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Geächtet durch den libanesischen Paß

■ Flüchtlinge mit Duldung müssen nun einen Asylantrag stellen/ Amnesty international befürchtet die Aufhebung des Gruppenschutzes, weil ihnen jetzt die Einzelfallüberprüfung bevorsteht

Berlin. »Lieber will ich in einem deutschen Gefängnis sitzen, als wieder in einem Flüchtlingslager im Libanon leben müssen.« Der 30jährige Palästinenser R. M. (Name ist der Redaktion bekannt) aus dem Libanon verbrachte sein ganzes Leben in Flüchtlingslagern. In einem Lager im Südlibanon wurde er 1982 bei einem Überfall der Israelis für über ein Jahr verhaftet. 1984 wurde er während eines Bombardements des Lagers durch die Israelis schwer verletzt. In Schatila baute er sich eine neue »Existenz« auf, die im Libanonkrieg wiederholt zerstört wurde. »Bei uns arbeitet man zwei Jahre, dann fängt der nächste Krieg an, oder man wird überfallen, bombardiert, verhaftet.« Vier seiner Verwandten seien bereits umgekommen. Im Oktober letzten Jahres kam er mit seiner Familie nach Berlin. Warum? »Weil ich endlich im Frieden leben will. Weil ich nicht mehr der Willkür ausgesetzt sein will. Weil ich einfach Angst um mein Leben und das meiner Familie habe. Mein zweijähriger Sohn versteckt sich jedes Mal, wenn er ein Flugzeug hört, weil er immer noch Angst vor Bombardements hat. Wie soll ein Kind in solch einem Land aufwachsen?«

R. M. fiel unter den »Pätzold-Erlaß«, in dem festgelegt wurde, daß Flüchtlinge, die nach dem 15. 12. 1989 nach Berlin kamen und keine individuelle politische Verfolgungsgeschichte hatten, allerdings als Angehörige einer Minderheit in ihrer Heimat verfolgt oder bedroht wurden, sofort — ohne das vorherige Durchlaufen eines Asylverfahrens — eine Duldung erhielten. Nach dem neuen Ausländergesetz dürfen die Bundesländer nur noch Duldungen für sechs Monate erteilen, danach muß der Bundesinnenminister einer Verlängerung zustimmen. R. M.s Duldung ist nur noch bis zum 15. Juli gültig.

In ähnlicher Lage befindet sich die palästinensische Familie I., die im September einreiste und eine Duldung erhielt. Ursprünglich stammte sie aus dem Libanon. Seit Jahren allerdings lebte sie in den Vereinigten Emiraten. Mit der Golfkrise wurde dort das Leben unerträglich: Palästinenser waren nicht mehr erwünscht. Dem Vater wurde die Arbeitsstelle gekündigt, dem Sohn wurde ein Platz an der Universität verweigert.

Im Falle einer Abschiebung müssen sie in den Libanon zurück, da sie den libanesischen Flüchtlingspaß für Palästinenser haben. Doch »dieser Paß ist wie eine Schlange, denn wo immer wir mit ihm auftauchen, macht er uns zu Geächteten.« Deutschland ist nicht ihre Traumheimat, sie wollen zurück — »nach Palästina«.

Wenn ihre Duldung im August nicht verlängert wird, werden sie einen Asylantrag stellen. Wird dieser abgelehnt, muß überprüft werden, ob sie aus humanitären Gründen hierbleiben können, bis sich die Lage in ihrem Herkunftsland normalisiert hat.

Der Pressereferentin des Innensenators zufolge wird vorerst keiner der rund 2.000 betroffenen Flüchtlinge, deren Duldung jetzt ausläuft, abgeschoben werden, da sie noch die Möglichkeit haben, einen Asylantrag zu stellen. Gerade hierin liege aber die Tragik des neuen Ausländergesetzes, wie Monika Kadur, Mitglied des Sekretariats von ai, betonte. Denn damit sei der »Gruppenschutz« von verfolgten Minderheiten aufgehoben worden. Mit dem Asylverfahren stehe ihnen jeweils eine Einzelfallüberprüfung bevor. Nadja Encke

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