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Ein Traum vom Westen

■ Fremde liebe Fremde, 20.15 Uhr, ARD

Nur Oma hat es geschafft, sie ist zurückgekehrt zum Grab ihres Mannes. Wieder zu Hause in Rumänien, hat sich alles verändert. Der Friedhof, der Ort ihrer Daseinsberechtigung, ist verlegt worden und so folgt sie ihrem „Maxe“ in der ihr eigenen Art. An der Stelle, wo das Grab einst war, sitzt sie zusammengekauert auf einem Stuhl, der nächtliche Frost hat sie mit der Natur eins werden lassen. Nur ihre schwarze Kleidung hebt sich scharf vom weißen Schnee ab.

Für Ali, die Enkeltochter, aber ist ein Traum vorbei. Sie hatte Step, ihren Freund, zurücklassen müssen, weil ihr Vater, zu den Banater Schwaben gehörend, ein Ausreisevisa erhielt.

Doch als sie ihn wiedertrifft, ist er ein anderer geworden. Denn zwischen der erzwungenen Abreise und der Rückkehr liegen nicht nur wenige Monate, dazwischen liegt der Umsturz des Regimes. Der Aufstand von Temesvar hat aus dem jugendlichen Liebhaber ein Freiheitskämpfer voller Enthusiasmus werden lassen.

Fremde liebe Fremde ist aber nicht nur eine private Liebesgeschichte zwischen Annalena und Step. Susanne Schneider (Buch) und Jürgen Bretzinger (Regie) erzählen die Geschichte einer deutschstämmigen Aussiedlerfamilie, die alles hinter sich lassen will. Doch die eigene Geschichte holt sie wieder ein. Im Westen aber zerplatzen die Träume. Der Traum vom Vater, der den Traum vom Wohlstand träumt und davon, daß es seine Tochter einmal besser haben soll. Oder der Traum von Ali, die von einer Reise in die Sonne, von Musik und von Jamaica träumt. Der leise eindringliche Film — die Dreharbeiten wurden wegen der politischen Entwicklung ausgesetzt, deshalb konnte er erst jetzt fertiggestellt werden — zeigt aber auch die Realität, an der die Träume zerbrechen.

Es sind die neuen, westlichen Verhaltensweisen und Normen, mit denen nicht nur der junge Sprößling konfrontiert ist.

Er hat seinen Mitschülern gezeigt, wie man am schmerzlosesten Tauben erlegt. Zu Hause war er dafür immer belobigt worden, war so eine Taube doch eine gerngesehene Bereicherung des eintönigen Speiseplans, jetzt im Schwarzwald ist das ein minderer Fall von Tierquälerei. ks

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