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Kaum Macht und viel Ohnmacht und kein Trost, nirgends

■ Die beste aller kommenden Inszenierungen: „Fräulein Julie“

Diese Inszenierung des Fräulein Julie wird die beste aller der kommenden Spielzeit im ansonsten mächtig überschätzten Kölner Schauspiel gewesen sein. Selten habe ich ein so genaues Wahrnehmen von Gefühlsverzerrtheiten zwischen zwei Liebenden auf dem Theater sehen können. Denn trotz aller viel beschworenen gesellschaftlichen „Schranken“: In der Interpretation des Regisseurs Dimiter Gotscheff, handelt es sich um Liebe; eine Nacht lang sinnlichste Begegnung, wider alles Erwarten, ganz nah für schönste Augenblicke, erkannten sie einander.

Und so begann das Trauerspiel: Ganz allmählich erst füllt sich der leere Bühnenraum mit der drückend tief hängenden Gesindeküchendecke mit Bewegung. Aus der minutenlangen, schon befremdlichen Stille hört man, nunmehr bei Licht auch betrachtbar, die stilisierten Mühen der Domestiken Jean und Kristin. Sie wienert geradezu autobeschäftigungstherapeutisch den schon lange blanken Holzfußboden in autistischer Manier; auf und ab bewegt sich der dralle Hintern der Köchin. Währenddessen „wichst“ — in des Wortes doppelter Bedeutung — der Diener in größtem Tempo am Stiefel seines abwesenden Herrn herum, immerzu, mechanisch und übereifrig, und insgesamt unterfordert.

Und ergeht sich dabei in Erinnerungen an die tanzsüchtige Grafentochter Julie; „total verrückt“, jedoch für ihn unerreichbar und um so heftiger reibt der Diener am herrschaftlichen Leder herum. In diese ausdauernde Choreographie gerät die gelassene, sehr muntere Julie, sie umtanzt den begehrten Diener. Mit äußerst schönen, lasziven Bewegungen macht sie ihn an, die Sinnlichkeit der verwöhnt-verschwärmten Privilegierten trifft auf die Sinnlichkeit des Körperarbeit gewöhnten, wohlgeformten Domestiken. Das dennoch klassenlose Begehren beider füllt die Kammerspiele, die Spannung im Zuschauerraum bekommt etwas Atemloses. Und das ist das Bedeutende dieser Aufführung: Hier wird keine Anmaßung von oben gegen eine Anmaßung von unten forciert, sozialkritisch ausgespielt — beide Personen werden in ihrer Lust und in ihrer Bedürftigkeit gleichermaßen ernst genommen. Zwar erniedrigt sie ihn, und er sie und wieder umgekehrt — wer letztlich über wen verfügt, bleibt aber bei ihrer beider Leidenschaft durchaus die Frage.

Julies Wunsch, dem Ennui ihres herrschaftlichen Status in eine bodenlose Einfachheit zu entfliehen — dieser Körper-Sehnsucht ist hier eben so gut nachzuspüren wie der Skepsis des Jean, der sich in Zynismen rettet, um nicht rettungslos der Körper-Nähe zum schönen Fräulein zu verfallen. So verleugnet er das eigene Begehren und schlägt es Julie eher verzweifelt ins Gesicht; die bekundete Rache wirkt beinah vorgeschoben.

So, wie der Diener alle Geschütze aufführt, um das Fräulein zu verachten — und tatsächlich wird er fürchterlich gemein — so wappnet sich Julie, indem sie „die Schande“ einer Mesalliance lediglich zitiert — in Wahrheit ist sie jedoch viel, viel trauriger. So treten Probleme mit der Konvention in den Hintergrund des „Kampfs der Geschlechter“ überhaupt.

Unglaublich klare Bilder der Vergeblichkeit hat sich Gotscheff mit seinen hervorragenden Schauspielern — vor allem Almut Zilcher in der Titelrolle, aber auch sehr eindrücklich Berd Grawert, und — vollendet servil — Claudia Burckhardt — einfallen lassen. Wie es Gotscheff gelang, diesen abgründig schmerzhaften Strindberg-Dialogen eine so grandiose Körperlichkeit zu verleihen, ist wahrhaftig sehenswert. Marianne Bäumler

August Strindberg: Fräulein Julie. Regie: Dimiter Gotscheff. Kammerspiele des Schauspiels Köln.

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