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Der Dirigent in eigener Sache

Hans Werner Henze gestikuliert vor den Berliner Philharmonikern  ■ Von Frank Hilberg

Ja, der Kontrabaß, dieses hypertrophe Monstrum, wirkt schon ein bißchen komisch, wenn er als konzertierender Solist durch die Partitur zuckelt. Wenn die raschen Passagen und Arpeggiaturen mit der Eleganz eines Traktors auf der Avus genommen werden und die Kadenzen, die Doppelgriffe und virtuosen Girlanden mit dem Verve eines leicht verschleppten Chorals daherkommen. Und gar die Triller und das Vibrato — da flattern dem Spieler die Hände, als habe er in eine Steckdose gefaßt.

„Niemand kann einen Kontrabaß schön spielen, wenn das Wort einen Sinn haben soll. Niemand. Auch die größten Solisten nicht, das hängt mit der Physik zusammen, nicht mit dem Können...“ Nachdem Patrick Süskind sich dieses kuriosen Instrumentes in seinem gleichnamigen Melodrama so liebevoll angenommen hat, verbietet sich eigentlich jeglicher Spott. Zumal das Konzert für Kontrabaß und Orchester E-Dur des Karl Ditters von Dittersdorf von Rudolf Watzel akkurat gespielt wurde, im Rahmen des physikalisch Möglichen jedenfalls.

Die Rolle des Musikdarstellers hatte diesen Abend Hans Werner Henze inne. Vor dem Hintergrund von Joseph Haydns Symphonie Nr. 6 D-Dur (Le Matin) entfaltete er seine mimodramatische Interpretation. Die branchenüblichen Bewegungen mit pittoreskem Gebärdenspiel zu einer ausdrucksvollen Choreographie verschmelzend, gelang es ihm aufs Allerliebste, die Musik blumig zu bebildern. Mal scheint er als Maler vor einer imaginären Leinwand zu stehen und mit verhaltenem Schwung eine Cellocantilene aufzutragen oder ein paar Fagottupfer zu setzen; mal regelt er die Kontrapunktführung mit den Posen eines Verkehrspolizisten (zeigt der Direx Brust, spiele voller Lust — zeigt er aber Rücken, kannst du auf die Tube drücken); mal trillert er mit den Knien und manchmal spielt er selbst die Geige und zeigt den Streichern gestisch, wie das Wedeln mit dem Bogen funktioniert.

Am allerschönsten waren die Freischwimmerbewegungen bei der Streicherwoge im Adagio und wie er auf dem Podest das Menuett tanzt (nachdem er etwas grob den Tanzcharakter der Begleitstellen hervorgeschnitzt hatte).

Ein gutes Orchester ist durch sowas natürlich nicht durcheinander zu bringen und der Haydn wurde denn auch, trotz allem, ohne größere Unfälle absolviert.

Aber Spaß beiseite. Henze ist als Dirigent auch nicht der beste Anwalt seiner eigenen Musik, obgleich er diese sehr viel sachlicher und sparsamer ausdeutet. Seine Drei Dithyramben von 1958 zerlegen das Orchester in stets andere solistische Ensembles.

So entsteht eine Vielfalt von kammermusikalischen Situationen, die durch seltenere Tuttipassagen gegliedert werden. Beachtlich ist die Durchsichtigkeit und Farbigkeit der instrumentierenden Phantasie, die in den Stücken dieser Jahre zu Tage tritt.

Nach diesem Stück setzte erst einmal eine Massenabwanderung des Abonnementpublikums ein, das sich von den gewiß nicht sonderlich abenteuerlichen Klängen schockiert gab. („Aber das ist doch keine Musik mehr“ — um den allgemeinen Tiefstand der musikalischen Bildung nicht für eine Erfindung von Kulturpessimisten zu halten, muß man gelegentlich mal Pausengespräche belauschen.) Wer dablieb, wurde durch den elegisch-sentimentalen Duktus der Zwei Konzert-Arien verwöhnt, die Henze seiner Oper König Hirsch entnahm und neu bearbeitet dem Bel- Canto-Jüngling John Mark Ainsley in die goldene Kehle legte. Den angegrauten Ladys hat er gefallen. („Schade, daß er kein Mozart singt.“)

Auch die Symphonie Nr. 1 zeigt Henze als Verfechter traditioneller Tugenden, die ihn schon damals aus den Reihen der avancierten Kollegen und in die Herzen der Opernintendanten (an die zwanzig szenische Werke belegen das) katapultierte; der das lyrisch bis schwelgerische Senza-Tempo-Klangidyll mehr liebt (ist auch leichter zu dirigieren) als Ecken, Schründe, Kanten oder gar die Ungewißheit des Experiments; der seinen traditionellen Sonderweg gegangen ist und damit folgerichtig zu einem der wohlhabendsten und meistdekorierten Komponisten der zweiten Jahrhunderthälfte geworden ist.

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