: Im Tivoli und im UT: "Zauber der Venus"
Vom Fernsehen kennen wir sie schon: die „Euro“-Produktionen, mit denen sich Europa im Verbund gegen die marktbeherrschenden Filme aus Amerika behaupten will. Was aber bei solchen Filmen rauskommt, für die ein italienischer Regisseur in Frankreich dreht mit deutschen Hauptdarstellern, die bei griechischer Filmmusik die Drehbuch-Dialoge eines Spaniers sprechen — das schmeckt so fad wie die EG-Tomate, weil das Spezifische der Länder auf Durchschnittskurs gebracht wird, damit die Euro-Produktion von Dänemark bis Portugal gemümmelt werden kann.
Von so geschmacksneutraler Hasenfüßigkeit ist „Zauber der Venus“ Lichtjahre weit entfernt - Lichtjahre: denn dieser Film leuchtet mit strahlend hellem Schein den Armleuchtern der Euro-Produktionen heim. Dies ist ein Film, der glüht vor Sinnlichkeit, der sprüht vor Witz, obwohl er auf den ersten Blick in seiner Konstruktion dem Eurokraten-Kopf entsprungen scheint: ein ungarischer Dirigent kommt nach Paris, um an der „Opera Europe“ Wagners „Tannhäuser“ zu inszenieren — mit Künstlern aus allen Ländern Europas. Doch dieser Film sucht eben nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner — er sucht den größten: den permanenten Streit, den Haß, die Vorurteile, die zwischen den Menschen, den Künstlern des Ensembles toben. Gefühle, die immer wieder die Arbeit an der Oper torpedieren, den Dirigenten zur Verzweiflung treiben. Die Oper, die schließlich doch zustande kommt - das ist Szabos Metapher für Europa. Das Chaos im Ensemble — zerstörerisch und produktiv zugleich — dies Chaos erst schafft jenen „Zauber“, der auch den schüchternen Dirigenten ( Niels Arestrup) und seine „Venus“, die Primadonna (Glenn Close), erfaßt — in einer der mitreißendsten Sich-Jäh- Verlieben-Szenen, die auf der Leinwand je zu sehen war. Und mit dem Chaos, dem Eigensinn, der komischen Borniertheit dieser Künstler verzaubert Szabo nicht nur die Leinwand — nein, er gibt den eleganten, schwingenden Erzählstil sogar an Wagners „Tannhäuser“ ab, dem alles Schwere, Deutsche plötzlich abzugehen scheint, der sich nun spiegelt in Glenn Close's strahlendem Gesicht und einem nicht mehr aus dem Kopf geht. „Es ist ein großer Blödsinn der europäischen Filmemacher“, sagte Szabo kürzlich in einem „Spiegel“-Interview, „daß sie gegen Amerika kämpfen. Wir haben das Gefühl verloren, die Zuschauer zu lieben und zu erreichen.“ „Zauber der Venus“ aber zeigt, daß Szabo sein Publikum sehr liebt und viel davon versteht, es zu erreichen. Sybille Simon-Zülch+
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen