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Wenn die Behörde Bewegte links überholt

■ Bezirk Charlottenburg lud zum zweiten »Lesben- und Schwulenpolitischen Ratschlag«/ Hauptsache Homo-Ehe

Charlottenburg. Im Rathaus Charlottenburg fand nach einem Jahr der zweite »Lesben- und Schwulenpolitischen Ratschlag« statt. Mit auffallender Mehrheit weiblicher TeilnehmerInnen unter dem Vorsitz der Bezirksbürgermeisterin Monika Wissel (SPD) ward diesmal Frau Grevfel aus Amsterdam geladen, über das dortige Modell zu berichten, schließlich soll der Charlottenburger Ratschlag laut Beschluß der Bezirksverordnetenversammlung nach eben jenem Vorbild gestaltet sein.

Die Niederländerin ließ denn auch keinen Zweifel an der Vorreiterrolle Amsterdams: Sei es, daß die Stadt Mitglied in der International Lesbian and Gay Association (ILGA) — der weltweite Zusammenschluß größerer und nationaler Lesben- und Schwulengruppen — geworden ist oder daß die Stadt einen Queen-Elisabeth-Ähnlichkeitswettbewerb veranstaltet — Amsterdam gebärdet sich in Taten radikaler als so mancher Berliner Homo-Verein sich überhaupt zu artikulieren wagt.

Einigen TeilnehmerInnen wurde es denn auch sichtlich unangenehm, von einer Behörde, sei sie auch keine heimische, links überholt zu werden. Frau Grevel konnte die engen Grenzen behördlicher Gestaltungsmacht, wie sie von Berliner Beamten oft ins Feld geführt wird, nicht bestätigen.

Vielmehr greift die Lesben- und Schwulenpolitik Amsterdams mit einem jährlichen Etat von 300.000 Gulden — zusätzliche Gelder aus Bildungs- und Kulturetat nicht eingerechnet — der Bewegung massiv fördernd und stützend unter die Arme, wobei Eigeninitiative besondere Anerkennung erfährt. Die schulische Aufklärung über Homosexualität und Homosexuelle veranstaltet die Stadt nicht in Eigenregie. Sie dirigiert die Umsetzung an das örtliche Lesben- und Schwulenzentrum COC. Die Kommune liefert nur das Geld.

Das Interesse der Berliner BürgerInnen war indes anders gelagert: Nicht so sehr die regional-behördlichen Errungenschaften beschäftigten die Zuhörer. Nein, das niederländische Recht des »Partnerschaftsvertrages« war Mittelpunkt der Fragen. Die Deutschen begeisterten sich für Homo-Ehe, Beamtenrecht und Lebensversicherungen. O-Ton: »Wenn ein deutscher Beamter in Deutschland versetzt wird und seine Gattin zurückläßt, bekommt diese einen Trennungszuschlag. Gibt's das auch für Homos in Holland?« Die Amsterdamerin begegnete solch frommen Wünschen mit einer Mischung aus Resignation und Humor. Die Frage nach dem Erbrecht im Partnerschaftsvertrag beschied sie mit der präzisen Antwort, daß dieser »nicht genau das dasselbe wie ein Testament« sei. Danach kamen noch die existentiellen Themen Adoptionsrecht und Altersversorgung dran. Dirk O. Evenson

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