: „Macht doch die Rathaushalle auf!“
■ AK Drogen: Farbbilder und Debatte zur Obdachlosigkeit
Menschen nächtigen bei Temperaturen um Null Grad unter Balkons, in Grünanlagen, in feuchten, stinkenden Löchern: Die Foto-Serie und die Farbdias, die der AK Drogen am Donnerstag abend zu seiner Veranstaltung „Obdachlos in Bremen“ zeigte, schockierten viele (vgl. auch die 2seitige Foto-Dokumentation in der taz v. 30.11.). Und die Bilanz der eingeladenen ReferentInnen war mindestens so ernüchternd: Drogen-Sozialarbeit findet in Bremen nicht mehr statt, praktisch in allen Einrichtungen:
1. Der völlig überlaufene kleine Bus der Bremer Hilfe für drogenabhängige Prostituierte, ehemals Vorzeige-Projekt, dient als Wärme-Raum. Krisen- und Aidsberatung, Wundversorgung nicht mehr möglich.
2. Die Straffälligen-Betreuung, die 18-24jährige vor Knastkarrieren bewahren will, scheitert, weil ihre Übergangswohnplätze aus Not dauerbelegt sind. Obdachlose drängen in die Unterkünfte, nehmen Betreuung nicht in Anspruch, sondern in Kauf.
3. Auch die kommunale Drogenberatung Drobs, ehemals „Kontaktladen“ in der Bauernstraße, kann die Massen nicht mehr fassen und verteilt nun wieder Eintrittskarten nur für bremische Junkies.
4. Am härtesten und dabei am unauffälligsten ist das Elend bei den obdachlosen Frauen. Sie debattierten nicht mit, sondern standen derweil auf dem Straßenstrich. Das Jacobushaus hat ganze drei Plätze für Frauen. In das Übernachtungsschiff Jola kommt nach 22 Uhr niemand mehr hinein, damit also keine Prostituierte, die anschaffen muß. In eng mit Männern und Frauen belegten Notunterkünften wird den Frauen nachts vielfach das Geld geklaut, das sie so schwer erarbeitet haben. Ihre Alternative: die Zudringlichkeit von Freiern die Nacht über in Kauf zu nehmen.
Die MitarbeiterInnen der Beratungsstellen fühlen sich verheizt. Sie machen keine Drogenarbeit, sondern suchen nur noch Unterkünfte.
So konzentrierte sich aller Unmut auf den Vertreter der Sozialbehörde, Hans Leppin. Der wußte: „Alles, nur keine Drogenabhängigen“ nehmen die Wohnungsbesitzer als Mieter. Und gab den schwarzen Peter weiter an die Baubehörde, die nicht baut. Leppin geht von 60-80 akut Obdachlosen aus, nicht gerechnet die, die bei Freunden untergekommen sind, was deren Wohnungen wiederum belastet. 24 Plätze soll es „in den nächsten Tagen“ geben, versprach Leppin. Alles andere lag in weiter Ferne: vielleicht gelingt es, ein Bürogebäude umzuwidmen, vielleicht findet man Stellplätze für Container. Die Beiräte seien das Problem.
Absurd: Nicht alle sind betreuungsbedürftig. Aber offenbar die Nachbarn. Ohne (kostenintensive) Betreuung, so Leppin, ist keine Unterbringung mehr durchsetzbar. Zeit-Perspektive nach der Wahl: „Sobald die Beiräte arbeitsfähig sind...“
Mit der Verzweiflung steigt der Mut: zu Hausbesetzungen, „Aktionen“. Die Junkies wußten, wie kalt es draußen ist. Reißenden Absatz fanden die Formulare, mit denen der Verein „Allwo“ die Stadt gerichtlich zwingen will, ihrer Unterbringungspflicht nachzukommen, wenn Gefahr für Gesundheit oder Leben besteht. Das ist der Fall (vgl. Artikel oben). Der Allwo-Vertreter zu Leppin: „Seit Jahren stehen Lösungen immer kurz vor dem Erfolg! Wenn Sie nichts haben, dann machen Sie die Untere Rathaushalle auf!“ Und ein Junkie: „Wenn ich beim Jacobushaus abgewiesen werde und das diakonische Kreuz auf dem Dach sehe: Das ist doch gequirlte Kacke.“ S.P.
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