: Autobahnen als Patentlösung
■ Sowohl im modellhaften Stockholm wie in Paris sollen Autobahnen den Verkehrsstaus abhelfen
Schweden gilt als fortschrittlich, was umweltfreundliche Lösungen der Verkehrsprobleme in den Städten angeht. Seine Hauptstadt Stockholm geht dabei mit gutem Beispiel voran. Ein gut ausgebautes U-Bahnnetz in Verbindung mit Bussen und Schnellzügen ermöglicht eine schnelle Fortbewegung bei Tag wie bei Nacht. Die Netzkarte für Groß-Stockholm (cirka 150 Kilometer Durchmesser) kostet umgerechnet 70 DM pro Monat. Ein Teil der Omnibusse sind äthanolbetrieben, andere fahren mit Energiespeichern, die die Reibungsenergie beim Bremsen auffangen und neu verwenden.
Obwohl das Stockholmer Verkehrsaufkommen im Vergleich zu anderen europäischen Großstädten lächerlich niedrig liegt, sind sich alle Beteiligten einig, daß der Autoverkehr drastisch eingeschränkt werden muß. Der schwedische Autokönig, der Aufsichtsratsvorsitzende von Volvo, Pehr Gyllenhammar, erregte im Sommer 1989 Aufsehen mit dem Vorschlag, den gesamten Autoverkehr in den Stadtkernen der Großstädte vollständig zu verbieten. Statt dessen solle der öffentliche Nahverkehr stark ausgeweitet werden. Busse und Taxis müßten modernisiert werden und sollen billig, umweltfreundlich, sicher und bequem sein.
Die Zukunftsträume des Volvo- Chefs, autofreie schwedische Großstädte mit umweltfreundlichen Bussen seiner Firma ausstatten zu können, stießen freilich bislang nicht auf viel Gegenliebe. Doch nach dem Abschluß des „Dennis-Abkommens über den Verkehr in Stockholm“ im Januar dieses Jahres fürchten die vier kleinen Umweltparteien, daß die Autoindustrie auch so auf ihre Kosten kommen wird. Im April letzten Jahres hatte die damals noch sozialdemokratische Regierung den Chef der schwedischen Reichsbank, Bengt Dennis, beauftragt, gemeinsam mit den Parteien der Stockholmer Kommunalpolitik ein verbindliches Planungsabkommen über die Verkehrsgestaltung in der schwedischen Hauptstadt zu erarbeiten. Anfang dieses Jahres wurde das Abkommen vorgelegt. Es sieht einen Autobahnring rund um die Stockholmer Innenstadt vor, der den Durchgangsverkehr der Nord-Süd-Achse von der Stadt fernhalten soll. Östlich und westlich der Stadt sollen zudem zwei große Zubringer gebaut werden, um bereits vorhandene Autobahnen zu verbinden. Darüber hinaus sollen das U-Bahnnetz und die Schnellbahnen modernisiert und eine neue Schnell-Straßenbahn als Verbindung mehrerer westlicher Vororte gebaut werden.
Der geplante Autobahnring soll gebührenpflichtig sein und damit im nachhinein die Baukosten finanzieren, so daß alle staatlichen Gelder in den Ausbau der staatlichen Verkehrsmittel gesteckt werden können. Zwei der drei Abkommenspartner, die sozialdemokratische Partei und die liberale Volkspartei, wollen zudem den Autoverkehr in der Innenstadt mit drastischen Gebühren belegen, die an Zollhäuschen an strategisch wichtigen Punkten der Innenstadt eingetrieben werden können. Da sich die Konservativen, die inzwischen auch im Stockholmer Stadtparlament die Regierungskoalition anführen, generell gegen Autozölle sperren, wurde dieser Punkt des Abkommens ausgeklammert und auf später verschoben. Die vier kleinen Umweltparteien, die „Grünen“, die „Stockholmpartei“, die „Linkspartei“ und die „Zentrumspartei“, hatten sich schon zu Beginn der Verhandlungen unter Protest zurückgezogen. „Wir befürchten, daß Stockholm in einigen Jahren ein einziges riesiges Autobahnkreuz sein wird“, erklärt Agneta Dreber von der „Stockholmpartei“.
Autobahnpläne werden auch in Paris geschmiedet. Knapp drei Millionen Autos zirkulieren täglich in der französischen Hauptstadt und kommen dabei auf eine Durchschnittsgeschwindigkeit von zehn Kilometern in der Stunde, die sich in Stauzeiten auf die Hälfte reduziert. „Wie wäre es, wenn wir die Stadt einmal mehr untertunneln?“ fragte sich angesichts dieser Notlage Jean Pehuet, Absolvent der berühmten Ecole Polytechnique und Vizepräsident der GTM Entrepose, einer Gesellschaft, die schon eine Menge Parkhäuser in Paris gebaut und damit zahlreiche Autofahrer in die Stadt gelockt hat. LASER heißt das Projekt der Firma, das vor zwei Jahren vorgestellt wurde. Drei unterirdische Autobahnen (später fünf) sollen vom Boulevard peripherique, der um Paris herumführt, zu einem „zentralen Ring“ führen, der sich unter den fünf Pariser Fernbahnhöfen entlangzieht. Die Kosten sollen die Autofahrer selber tragen. Tarif für eine Fahrt: zwanzig Francs, cirka sieben DM.
Um 15 Prozent würde LASER den Stadtverkehr entlasten, behauptet GTM. Unter der Erde würden die Autos mit sechzig Stundenkilometern zirkulieren und deshalb viel weniger Abgase ausstoßen als im Stop- and-Go. Metro-Benutzer würden nicht ins LASER-Netz gelockt, weil die Gebühren zu hoch wären. Die neuen Schnellstraßen wären nur für Geschäftsleute und Selbständige interessant.
Diese Argumentation wird von anderen Experten allerdings bezweifelt. Alle Erfahrungen zeigen, daß Autobahnen die Autos anlocken, und die Belüftungsschächte für die Abgase befänden sich mitten in Paris.
Jacques Chirac, der gaullistische Bürgermeister von Paris, befürwortet das Projekt, während Mitterrand und seine Regierung kommerzielle Autobahnen im Stadtgebiet grundsätzlich ablehnen. Da der Boden unter Paris dem Staat gehört und nicht der Stadt, kann die Regierung dem Bürgermeister im Moment noch die Genehmigungen zum Baubeginn untersagen. Schon mit den Regionalwahlen im März könnten sich die Konstellationen jedoch ändern. Luise Steinberger (Stockholm) und Thierry Chervel (Paris)
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