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Abenteuerstillstand

■ Ausgezogenen-Fotos im neuen „Forum Langenstraße“

hierhin bitte

das Foto

von den beiden

Nackten

Der führende Wurstgewürzefabrikant Uwe Scheid hat, nach dem Verkauf seiner weltgrößten Spielzeugautosammlung, in sieben Jahren die weltgrößte Sammlung sog. erotischer Fotografie zusammengekauft. Das Fotoforum zeigt jetzt unter neuem Obdach in der Langenstraße eine Auswahl, über der man schnell verzweifelt: Da sehen wir Nackte jede Menge, von hinten und von vorn, kopfunter und überkreuz, und durchaus auch ein fickendes Paar; allein wir sehen leider an all den Ausgezogenen nichts, was uns die dickste Kleidung hätte verbergen können.

hierhin bitte

das Foto von der

seltsamen

Pflanze

Mit der Porno-Fotografie hat es eine traurige Bewandtnis: Ihr Material sind gepellte Menschenskinder, Banaleres gibt es nicht, und je ehrlicher sie mit ihnen umginge, desto weniger geht sie uns an. Die g'schamigste Sorte, wie man sie um die Jahrhundertwende liebte, bot noch Blicke auf eingängige Weibchen, die extra für den visuellen Appetit zubereitet waren. Das sind, aus heutiger Sicht, Alther- ren-Fleißbildchen von geradezu kulinarischem Stumpfsinn. An ihnen ist nichts mehr zu erleben.

Wo wirklich etwas zu sehen ist, wären wir sofort als Spanner entlarvt, was man auch nicht ohne weiteres erträgt. Solche Fotos gibt es in der Langenstraße kaum. Ein altes Paar im Bett fällt mir ein, wo Liebe und Zellulitis einander überwältigen. Oder die alten „Storyville-Portraits“ von E.J.Bellocq, wo vor prachtvollen Kulissen sich Huren nach Belieben plazieren durften. Umstandslos blicken sie in die Kamera und erkennen dahinter uns, wie wir gerade glotzen.

Aber von den meisten Fotos lächelt es anzüglich oder reckt sich anderweitig dem Mann in uns entgegen. Das sind enttäuschende Variationen der Unlust. Beschwindelt man uns etwa mit anatomischen Modellen? Solange ihnen niemand den Bauchdeckel aufklappt, ist nicht einmal der Beweis des Gegenteils zu erbeuten.

Fast alle diese Models, sei es von Frank Eugene Smith, Rudolf Koppitz und Laszlo Moholy- Nagy, von Joel- Peter Witkin und Helmut Newton und vielen anderen, führen uns geraden Wegs in die Klemme: Einerseits bieten sie das große fiktive Abenteuer, solange wir uns ungestört weiden. Zugleich aber sind sie Zeugen, wie alles Abenteuer scheitert an ihrer Positur: Sie sind die unbewegten Beweger und, sobald der Fotograf abdrückt, fertig mit uns. Diese kleine dialektische Grausamkeit steckt in allen Fotos, abgesehen von den ganz dummen. Es hängen da welche mit Nackten, die haben sich bloß ausgezogen, uns das Fürchten zu lehren: die FKK-Gymnasten der dreißiger Jahre und andere KdF- Heiden. Manfred Dworschak

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