: »Organisierte Verantwortungslosigkeit«
■ FU-Präsident verbietet Veröffentlichung einer OSI-Studie zur Bewertung der Lehre/ FU-Politologe Grottian fordert: Lehrevaluierung darf nicht vor individuellen Beurteilungen zurückschrecken
Dahlem. Aus dienstrechtlichen, personalrechtlichen und datenschutzrechtlichen Gründen hat Johann Gerlach, Präsident der FU, die weitere Verbreitung einer Studie am Otto- Suhr-Institut (OSI) untersagt, in der die Lehrenden am Fachbereich auf ihre Belastungen und ihre Qualität in der Lehre untersucht worden waren. Bis letzten Donnerstag konnten die Studierenden am Fachbereich politische Wissenschaften nachlesen, wer sich in welchem Maß um die Lehre verdient gemacht hatte. Alle Lehrpersonen waren in ihren Bewertungen durch StudentInnen mittlerer und fortgeschrittener Jahrgänge aufgeführt. Diese Einzelbegutachtung stieß bei den HochschullehreInnen nun auf Protest. »Inhuman« nannte ein Professor die Veröffentlichung der meist traurigen Ergebnisse sogar.
Bereits im Sommer hatte der erste Teil dieser Studie vernichtende Urteile über die ProfessorInnen und DozentInnen ergeben (die taz berichtete). Im zweiten Teil der Studie schnitten auch die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen nicht viel besser ab. Aufgeräumt werden müsse mit dem Märchen, der Mittelbau trage die Lehre, so die Studie. Statt dessen »scheint er mehr denn je zwischen wissenschaftlicher Qualifikation, Lehre und beruflicher Unsicherheit aufgerieben zu werden«.
Als »organisierte Verantwortungslosigkeit« könne man die Weise bezeichnen, in der das akademische Lehrpersonal seinen Lehr- und Dienstaufgaben nachgehe, so die Studie. Allenfalls die Hälfte der ausgewiesenen LehrerInnen stehe in einigermaßen qualifizierter Weise für die Lehre zur Verfügung. Viele glänzten überhaupt vor allem mit Abwesenheit, andere hinterließen keinerlei Lerneffekte und kümmerten sich nicht im geringsten um Hausarbeiten oder Arbeitsgemeinschaften.
Die Untersuchung am OSI beruht zum einen auf quantitativen Kriterien wie StudentInnenzahlen und ausgestellten Scheinen pro Veranstaltung. Anhand dieser Indikatoren sollte geprüft werden, wie belastet DozentInnen tatsächlich sind. Außerdem wurde nach Erfahrungen der StudentInnen hinsichtlich Einführung, Lehre und Betreuung gefragt. Gute und engagierte Lehrer sollten entsprechend belohnt werden, fordert die Studie. Wer in der Lehre stark belastet und gleichzeitig sehr gut bewertet sei, solle durch zusätzliche TutorInnenstellen nachhaltig unterstützt und entlastet werden. Zumindest für den Mittelbau solle die »absolute Novität« von Qualifikationsnachweisen für die Lehre eingeführt werden. Die »klammheimliche Komplizenschaft des warmen Sumpfes der gegenseitigen Unverantwortlichkeit« müsse allerdings auch von seiten der StudentInnen aufgekündigt werden, fordert die Studie. Statt nur mit den Füßen oder nörgelnd über der Tasse Kaffe abzustimmen, sei fundierte Kritik als Recht einzuklagen und auszuüben. Die Notwendigkeit von Lehrevaluierungen an den Hochschulen ist unbestritten. Die TU Berlin hat ein aufwendiges Programm gestartet, verschiedene Kommissionen an der FU beschäftigen sich mit der Frage. In Nordrhein- Westfalen hat Wissenschaftsministerin Anke Brunn von oben versucht zu reformieren. »Die meisten Konzepte aber gehen ganz allgemein von der Lehre aus«, sagt Peter Grottian, der als Professor am OSI bei der Studie federführend war. »Solange die Kritik allgemein bleibt, läuft sie an Hochschullehrern ab wie nichts. Die individuelle Zuordnung, die die Verantwortlichen benennt, ist dagegen tabu.« Er plädiert für ein Modell, das allgemeine Beurteilung der Lehre mit individueller Bewertung der Lehrenden kombiniert.
Die für heute als Fachbereichsveranstaltung geplante Diskussion über die Studienergebnisse wurde vom Dekan in eine DozentInnenveranstaltung verwandelt. cor
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