Stars und Idole als Aids-Botschafter?

■ Einen Tag vor seinem Tod machte "Queen"-Sänger Freddie Mercury sein Aids öffentlich. Nach Magic Johnson lenkt damit ein weiteres Idol die Antennen auf die Immunschwäche.

Stars und Idole als Aids-Botschafter? Einen Tag vor seinem Tod machte „Queen“-Sänger Freddie Mercury sein Aids öffentlich. Nach Magic Johnson lenkt damit ein weiteres Idol die Antennen auf die Immunschwäche.

Als der Basketball-Superstar Earvin „Magic“ Johnson seinen Rücktritt bekanntgab und dies mit seiner Infizierung mit dem Aids- Virus HIV begründete, löste er in den USA eine landesweite Schockwelle aus. Seitdem ist Aids wieder in den Schlagzeilen, bei der US-Aids-Hilfe laufen mit 40.000 Anrufen täglich (vorher 3.800) die Telefone heiß, und selbst das Weiße Haus umarmt den 32jährigen. Wie ein Traumpaß von Johnson ging das Virus um die Welt, staunte das Magazin 'Newsweek‘. „Ich habe zwei Tage lang geheult“, beschrieb die 67jährige Krankenschwester Irma Reed ihre Reaktion auf die Nachricht von „Magics“ Infektion. Wie ihr ging es Millionen von Amerikanern. In den Schulen, auf den Spielplätzen und in den Sportarenen — überall fühlten die Leute mit „ihrem“ Spieler. Johnson selbst blieb es vorbehalten, seine Fans daran zu erinnern, daß er eigentlich noch lebe und „noch für eine lange Zeit“ weiterleben wolle.

Anders als Magic Johnson hat der jetzt verstorbene Rocksänger Freddie Mercury seine HIV-Infektion und seine spätere Aids-Erkrankung geheimgehalten. Erst am Samstag, einen Tag vor seinem Tod, ließ er seine PR-Agentur die Nachricht verbreiten: „Die Zeit ist jetzt für meine Freunde und Fans in aller Welt gekommen, um die Wahrheit zu wissen, und ich hoffe, daß alle zusammen mit mir und meinen Ärzten den weltweiten Kampf gegen diese schreckliche Krankheit unterstützen.“ Mercury hatte seit zwei Jahren völlig zurückgezogen in seiner Villa in Kensington gelebt, er fürchtete den öffentlichen Rummel um seine Person. Magic Johnson sucht diesen Rummel ganz bewußt, er will zu einem „Spokesman for Aids“ werden.

Zwischen Mercury und Johnson gibt es allerdings noch einen anderen wichtigen Unterschied: Mercury war bisexuell, Johnson heterosexuell. Während über Mercurys Männergeschichten nur gemunkelt wurde, wird über die Frauengeschichten von Macho Johnson öffentlich — und mit Hochachtung — diskutiert. Die lesbische Tennisspielerin Martina Navratilowa hat jetzt die amerikanische Nation auf diese Doppelmoral aufmerksam gemacht. Sie findet die Hochrechnungen über Johnsons Partnerinnen-Frequenz und dessen Geständnisse für seine Bettgeschichten sexistisch, frauenfeindlich, widerlich.

Dennoch ist Johnson in den USA als Botschafter für Aids willkommen. „Das Beste, was uns passieren konnte“, werden Angehörige der Selbsthilfeorganisationen zitiert. Sie hoffen, daß Johnson Gelder für Forschung, Aufklärung und Betreuung lockermachen kann und seine Popularität damit den Interessen von Infizierten und Kranken zugute kommt. Damit könnte er einen ähnlichen Promi-Effekt erzielen wie in den USA zuletzt der Filmschauspieler Rock Hudson, der das Virus in die Wohnzimmer einschleuste und bei seinem Filmkollegen Ronald Reagan die Millionen für den Kampf gegen die Krankheit loseiste. Aber auch Rock Hudson, so glaubt der Frankfurter Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch, wurde von der US-Bevölkerung „seelisch als Heterosexueller verbucht“: Seine Filmrollen als Schwarm aller Frauen waren stärker als sein wirkliches Leben als Schwuler.

Was Rock Hudson nicht geschafft hat und was wohl auch Magic Johnson nicht erreichen wird, ist die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Situation von Fixern, von Schwulen und für Aids als Krankheit der Armut. „Die Hauptbetroffenen-Gruppen, für die Aids eine existentielle Bedrohung bedeutet, werden nicht wahrgenommen“, kritisiert Sigusch die Situation in der Bundesrepublik. Das ist in den USA nicht anders. Auch dort wurden Gelder gestrichen, Projekte eingedampft. In der Bundesrepublik, kritisiert Sigusch, werde inzwischen nicht einmal mehr das Dringendste finanziert. Die anfängliche Hysterie gegenüber der Krankheit sei längst in Ignoranz umgeschlagen. Kann diese Ignoranz durch bekannte Idole wie Mercury oder Johnson geknackt werden? Sigusch sieht zumindest ein Stück „Vermenschlichung“ und „Normalisierung“, die den Gefährdeten, Infizierten und Kranken zugute komme. Durch die Nachricht von Mercurys Tod würden sicherlich auch Kids und Jugendliche mit Aids konfrontiert, an die man sonst nur schwer herankomme. Im Falle Johnsons sieht Sigusch allerdings auch die Gefahr der Gegenaufklärung. Dann nämlich, wenn der Star der Los Angeles Lakers wegen seiner vielen Frauen als toller Hecht und männlicher Sexist eine falsche Hochachtung auf sich ziehe.

Michael Lenz, Sprecher der Deutschen Aids-Hilfe, ist ehrlich genug, sich auch einen Magic Johnson für die Bundesrepublik zu wünschen, „obwohl ich niemandem Aids wünsche“. Viel lieber allerdings wäre es ihm, wenn einer der vielen schwulen Prominenten den Schritt in die Öffentlichkeit wagen würde. Aber die „hängen lieber den heterosexuellen Macho raus“. Bei vielen Prominenten wird die Öffentlichkeit erst mit ihrem Tod erfahren, daß sie homosexuell waren. Andere, wie etwa Miles Davis, behandeln ihre Aids-Erkrankung bis zuletzt als Tabu. Der bekannte Jazz-Trompeter starb im Oktober an einer „Lungenentzündung“, nur wenige Zeitungen nannten aufgrund ihrer Informationen aus dem Freundeskreis von Davis die Todesursache beim Namen.

Michael Foucault, Rock Hudson, Tony Richardson, Klaus Schwarzkopf, Horst Bienek, Kurt Raab, Freddie Mercury — Aids hat inzwischen viele Prominente das Leben gekostet. Ihre Namen können sicherlich mehr Menschen berühren als die monatlichen Horrorzahlen der Weltgesundheitsorganisationen. Manfred Kriener