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Die Mission gegen die Armen

Das US-amerikanische „Population Institute“ weiß sich in Szene zu setzen, wenn es um sein Hauptziel geht: die vermeintliche Aufklärung über die „einzig große Bedrohung unserer Gesundheit“ — die Überbevölkerung. Aufwind bringt vor allem der Verweis auf den drohenden Zusammenbruch des Ökosystems. Eine kritische Würdigung einer fragwürdigen Politik  ■ VON SUSANNE HEIM

Im Anschluß an die „Weltbevölkerungsbewußtseinswoche“ verlieh gestern in Ankara das Population Institute Washington seinen diesjähigen Global Media Award. Preisgekrönt wurde das zweiteilige Dossier der 'Zeit‘ mit dem Titel Die Erde ist voll.

Was verbirgt sich nun hinter diesem Institut? Der Name — „Population Institute Washington“ — legt die Vermutung nahe, man habe es mit einer wissenschaftlichen Einrichtung oder einer Regierungsinstitution zu tun. In Wirklichkeit aber handelt es sich um die „weltweit größte Mitgliederorganisation, die sich mit globalen Bevölkerungsproblemen befaßt“ (1) — so die Selbstdarstellung des Washingtoner Instituts. Mehr als um die Erforschung demographischer Entwicklungen geht es denn auch um „Aufklärung“ über die „einzig große Bedrohung für die Gesundheit unseres Planeten“ — die Überbevölkerung. Glaubt man den Statements des Instituts, so ist das Bevölkerungswachstum in der sogenannten Dritten Welt das Kernübel schlechthin. Egal ob es um Armut und Krieg in Zentralamerika geht, um den Nahostkonflikt oder politische Unruhen in Afrika, um Hunger, schlechte Gesundheitsversorgung, Arbeitslosigkeit oder Umweltzerstörung — in jedem Fall handelt es sich um eine „Bevölkerungskrise“, die sich lösen oder zumindest lindern ließe, wenn man die Zahl der Menschen reduziert. Bildlich wird dieses Credo folgendermaßen dargestellt: Eine Waage im Ungleichgewicht, auf der rechten Waagschale die Erdkugel, auf der linken, tiefer hängenden, eine Menschenmenge. Darüber stehen die Worte: „Wir können das Gleichgewicht herstellen.“ Normalerweise gibt es dazu zwei Möglichkeiten: Man kann entweder auf die höhere Waagschale noch etwas drauflegen — dazu ist aber kein Platz. Bleibt also nur die Möglichkeit, von der übergewichtigen Waagschale „etwas“ — in diesem Falle einige der sich darauf drängelnden Menschen — herunterzustoßen. Und genau das legt die Zeichnung nahe. Sie ist das Markenzeichen der diesjährigen „world population awareness week“ (Welt-Bevölkerungs- Bewußtseinswoche, kurz: WPAW), die das „Population Institute“ zusammen mit 33 anderen privaten und öffentlichen Institutionen Ende Oktober schwerpunktmäßig in den USA durchführte. Zu den Unterstützern der WPAW gehören unter anderem die „International Planned Parenthood Federation“ (IPPF, internationaler Dachverband der Familienplanungsinstitute), der „International Council on Management of Population Programmes“ (ICOMP) sowie „Zero Population Growth“ und der „Pathfinder Fund“.

Bewußtseinskampagne mit religiösem Eifer

Allmonatlich werden 2.100 Tageszeitungen und Korrespondenten in 159 Ländern mit „Popline“ beliefert, dem „Welt-Bevölkerungs- Nachrichtendienst“ des Washingtoner Instituts. Erklärtes Ziel der Öffentlichkeitsarbeit ist es, „der Bevölkerungsfrage internationale Priorität einzuräumen; Bewußtsein zu schaffen für das Bevölkerungsproblem, den Zusammenhang mit der Ressourcenknappheit und den sich ständig verschlechternden Umweltbedingungen sowie Führungskräfte zu entwickeln, die an der Lösung des Bevölkerungsproblems arbeiten“. Diese „erzieherische Aufgabe“ geht man in Washington mit dem missionarischen Eifer religöser Sekten und der Aufdringlichkeit moderner Werbeagenturen an: Von der Computerdiskette bis zum Lesezeichen wird kein Medium ausgelassen, um die Botschaft von der Bevölkerungsexplosion zu verkünden. Mit Aufklebern, T-Shirts, Infoblättern und Broschüren, Büchern, Videos und Filmen warnt das „Population Institute“ vor den Folgen des Bevölkerungswachstums — und sucht vor allem freiwillige AgitatorInnen, die das Anliegen des Instituts zu ihrem eigenen machen. Gefragt sind Leute, die in ihren Heimatorten eine Medienkampagne im Rahmen der Awareness week organisieren. Jeder Marktplatz und jeder Universitätscampus eignet sich für Kundgebungen zum „Bevölkerungsproblem“, RednerInnen können beim Institut ebenso angefordert werden wie fertig ausformulierte Reden oder — falls man vor religiösem Publikum spricht — auch Predigten. Aufgabe der Freiwilligen vor Ort ist es, Lokalzeitungen, Radio- und Fernsehsender zur Berichterstattung über das selbstinszenierte Spektakel anzuhalten und Personen des öffentlichen Lebens zur Unterstützung gewinnen. Entsprechende Musterbriefe, in die man nur noch den eigenen Briefkopf einsetzen muß, werden vom Institut zusammen mit den Unterlagen für die WPAW versandt. Dazu die Ermunterung: „Remember: Always be optimistic!“ Die bedrückenden Ausmaße des Bevölkerungswachstums, so heißt es in der Handlungsanweisung an die AgitatorInnen, könnten sonst allzu leicht Apathie und Verdrängung Vorschub leisten. Die Botschaft aber soll gerade lauten: JedeR kann etwas tun gegen die Überbevölkerung: You can help! Support the Institute! — Bevölkerungspolitik zum Mitmachen.

Gegründet 1969, hat das Institut in mancher Hinsicht bis heute den Geist der sechziger Jahre bewahrt, als bevölkerungspolitische Maßnahmen vor allem mit den Sicherheitsinteressen der westlichen Welt begründet wurden. Ausdruck davon ist nicht nur die Tatsache, daß in der Literaturliste nach wie vor Paul Ehrlichs 1968 erschienene „Bevölkerungsbombe“ empfohlen wird, ein Bestseller, der während des Kalten Krieges wesentlich zur Ausbreitung der Überbevölkerungsparanoia beitrug. Auch die gängigen Argumentationsmuster der WPAW könnten aus der Ära des US-Präsidenten Lyndon B. Johnson stammen. Der vertrat die Ansicht, daß fünf Dollar, in die Familienplanung investiert, mehr wert seien als 100 Dollar Industrieinvestitionen. Das Population Institute fordert, daß die Regierungen der Industrienationen, ihre Zahlungen an den UNFPA, den Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen verdoppeln, da das immense Bevölkerungswachstum insbesondere in den Ländern des Südens Wohlstand und Entwicklung auf der ganzen Welt bedrohe. Weit verbreitete Armut aber berge die Gefahr von Aufständen in sich. Auch darin ähneln die Mahnungen des Population Institutes der Überbevölkerungspropaganda der sechziger Jahre: Damals wurde offensichtlich, daß die Entwicklungspolitik die Armut in der „Dritten Welt“ nicht beseitigt hatte. Armut und Ungleichheit würden den Nährboden für politische Unruhen und die Ausbreitung des Kommunismus bilden. Um dem vorzubeugen wurden Ende der sechziger Jahre „Nahrungsmittelhilfen“ an Dritte-Welt- Staaten an Bevölkerungskontrollprogramme gekoppelt.

Die Zahl der Armen „begrenzen“

Inzwischen sind zwanzig Jahre vergangen; die ideologische Funktion, die in der Überbevölkerungspropaganda früher der kommunistischen Gefahr zukam, wird in jüngster Zeit vom drohenden Nord-Süd-Konflikt ausgefüllt: Um zu verhindern, daß die Armen des Südens sich den Reichtum nehmen, der ihnen vorenthalten wird, muß ihre Zahl begrenzt werden. Die Wege, wie dies geschehen kann, sind vielfältig. Man kann entweder auf die Geburtenrate Einfluß nehmen oder aber auf die Sterberate, zum Beispiel, indem man tödlichen Epedemien freien Lauf läßt. In der Broschüre zur „World Population Awareness Week“ werden die AgitatorInnen aufgefordert, mit SchülerInnen und StudentInnen folgendes Fallbeispiel zu diskutieren: Ein junger, neugewählter Präsident eines Inselstaates im Pazifischen Ozean muß sich entscheiden, ob er westliche Fachleute und Ärzte heranziehen will, die auf „seiner“ Insel ein Anti-Malaria-Mittel spritzen und die Bevölkerung gegen die weit verbreitete tödliche Krankheiten impfen. Auf den Nachbarinseln ist bereits mit westlicher Hilfe das Gesundheitssystems ausgebaut worden. Infolgedessen stehen diese Staaten vor dem ökonomischen Ruin, denn das Wirtschaftswachstum hat mit der steigenden Bevölkerungszahl nicht Schritt gehalten. Es fehlt an Nahrungsmitteln und Arbeitsplätzen. Der junge Präsident weiß außerdem, „daß hungernde Menschen nicht einfach still verhungern, insbesondere jene nicht, die ,bessere Tage‘ gesehen haben“. Die vorgegebene Frage für den Unterricht: Was würden Sie dem jungen Präsidenten raten?

Die Forderung nach Abschaffung der Armen statt der Armut — eines der Essentials der Überbevölkerungspropaganda — ist in den letzten 15 Jahren vielfach kritisiert worden als eine Form der Kriegsführung der Reichen gegen die Armen. Es waren in erster Linie Frauen, die sowohl auf den argumentativen Kurzschluß verwiesen haben, der der Bevölkerungspolitik zugrunde liegt, als auch auf die brutalen Methoden, mit denen in vielen Ländern der „Dritten Welt“ Sterilisationskampagnen durchgeführt wurden (2). Ein Hauch dieser Kritik ist zusammen mit der Erkenntnis, daß isolierte Geburtenkontrollmaßnahmen langfristig wenig verändern, gelegentlich sogar bis in die Institutionen vorgedrungen, die selbst bevölkerungspolitische Programme finanzieren. So wird im Weltbevölkerungsbericht der UNFPA von 1991 betont, daß Familienplanungsprogramme auf dem Prinzip der Freiwilligkeit basieren müssen — in vergangenen Jahren durchaus keine Selbstverständlichkeit.

Das bedeutet jedoch noch keineswegs das Ende der bevölkerungspolitischen Zwangsmaßnahmen. Im Gegenteil: Mit Verweis auf den drohenden Zusammenbruch des Ökosystems wird gerade in jüngster Zeit wieder ein energisches Vorgehen gegen die „Überbevölkerung“ gefordert. Dabei gilt auch die Anwendung von Zwang durchaus als gerechtfertigt — jedenfalls solange man sich darüber einig ist, daß mit „Überbevölkerung“ die Menschen auf der südlichen Erdhalbkugel gemeint sind. (3)

Auch das „Population Institute in Washington“ greift mittlerweile die Argumente der Öko- und der Friedensbewegung auf: Die US-Regierung solle lieber ihre Ausgaben für Bevölkerungspolitik erhöhen anstatt für den Verteidigungshaushalt. Klimakatastrophe, Waldzerstörung und Umweltverschmutzung werdem auf die Überbevölkerung zurückgeführt. Dabei ist der Institutspräsident Werner Fornos durchaus bereit, auch den ressourcenverschwenderischen Lebensstil in den westlichen Industrienationen in Frage zu stellen, nicht jedoch das Dogma, daß die globale Krise letztlich nur zu lösen sei, wenn weniger Menschen den Planeten bewohnen. Dem Grundsatz des „positive thinking“ folgend, werden den freiwilligen MissionarInnen der Population Awareness Week nicht nur Ratschläge für die Agitation in Sachen Bevölkerungspolitik an die Hand gegeben, sondern auch praktische Tips für umweltfreundliches Alltagsverhalten („Avoid plastics!“ „Support food co-ops!“). Die Erwähnung der Umweltproblematik sichert den Überbevölkerungspropagandisten vom „Population Institute“ ganz neue Unterstützer und macht politische Koalitionen möglich, die man sich vor kurzem noch nicht hat träumen lassen: Immer mehr Ökogruppen schreiben die Bekämpfung der Überbevölkerung auf ihre Fahnen. Unter den Unterstützern der diesjährigen „Population Awareness Week“ finden sich auch Organisationen wie die „National Wildlife Federation“ und das „Population-Environment Dynamics Project“. In den USA schlossen sich bereits 1985 rund 100 Umwelt-, Entwicklungs- und Familienplanungsorganisationen zusammen, um gemeinsam gegen ökologische Zerstörung und Bevölkerungswachstum zu streiten. Dem Bündnis gehören unter anderem der „World Wildlife Fund“ an, „Friends of the Earth“, das „Population Crisis Committee“ und der bereits erwähnte „Pathfinder Fund“. Im Beirat sitzen neben der Umweltabteilung der Weltbank auch die „World Women in Defense of the Environment“. (4)

In der Bundesrepublik, wo die Ökobewegung traditionell von der Linken beeinflußt ist, zeichnet sich neuerdings bereits ein ähnlicher Trend ab. Der Vorsitzende des „Bundes für Umwelt und Naturschutz“ (BUND), Hubert Weinzierl, vertritt die Überzeugung, daß zum Schutz der Umwelt Geburtenkontrollprogramme in der Dritten Welt vonnöten seien. In der 'Natur‘ zog jüngst der Ex-taz- und jetzige 'Natur‘-Redakteur Ulrich Kulke mit einer Mischung aus Diffamierungen und Ignoranz gegen Dritte-Welt-Solidaritätsgruppen zu Felde, die noch immer nicht begriffen haben, daß Familienplanung den Wohlstand steigert und das Bevölkerungswachstum den Weltfrieden gefährdet (5). Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit bedankte sich anschließend für das einfältige Pamphlet, das ihm Schützenhilfe gegen seine KritikerInnen leistete. Gleich mit ins Schußfeld gerieten die Grünen, da auch sie an staatlichen Bevölkerungskontrollprogrammen Kritik angemeldet hatten. Auch Michael Sontheimer — vor zehn Jahren noch in der Berliner Hausbesetzerszene aktiv, Ex-tazler und heute Preisträger des „Population Institutes“ — glaubt, daß die Grünen antiquierten Vorstellungen anhängen, wenn sie meinen, Bevölkerungskontrolle habe etwas mit der Unterdrückung der „Dritten Welt“ zu tun (6). Die jahrzehntelange Geschichte von Zwangssterilisationen und Pharmaexperimenten an Frauen in Lateinamerika, Asien und Afrika ist Sontheimer gerade einen Halbsatz wert — um sie als Hirngespinst der Feministinnen abzutun. Immerhin aber weiß Sontheimer zu würdigen, daß nicht alle Grünen Bevölkerungspolitik ablehnen: Sein preisgekröntes Dossier endet mit einem Zitat von Joschka Fischer, der warnt: „Es soll sich hier nur keiner der Illusion hingeben, daß wir mit den katastrophischen Konsequenzen des Bevölkerungswachstums nichts zu tun haben werden.“ Remember, Mr. Fischer: Always be optimistic!

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