Blanker Marmor und harter Granit

Bei der Aufarbeitung des nationalsozialistischen Bildersturms spielte die Plastik eine Nebenrolle. Die Ausstellung „,Entartete‘ Bildhauerkunst“ schließt eine Lücke in der Kunstgeschichte  ■ Von Stefan Koldehoff

Als die Nazis 1937 von München aus ihre Horrorschau Entartete Kunst als Wanderausstellung durch verschiedene Städte des Deutschen Reichs schickten, machte die Skulptur nur einen verschwindend geringen Teil aller Exponate aus. Zwar erwartete die BesucherInnen beim Auftakt in München schon im Treppenaufgang der Hofgartenarkaden ein lebensgroßes Kruzifixus des Bildhauers Ludwig Giese; man hatte ihn aus dem Lübecker Dom konfisziert. Auf zwei Etagen und in neun Räumen dominierte dann aber die zweidimensionale Kunst. Nur vereinzelt standen neben den bewußt chaotisch gehängten und polemisch kommentierten Gemälden auch Skulpturen von Lehmbruck und Barlach, Kirchner und Voll, Belling, Haizmann und Baum.

Entsprechend einseitig fiel nach dem Krieg auch die kunsthistorische Aufarbeitung der „entarteten“ Kunst aus: Wo immer sich Wissenschaftler und Museumsleute in Büchern und Ausstellungen mit dem nationalsozialistischen Bildersturm auseinandersetzten, spielte die Plastik bestenfalls eine Nebenrolle. Noch immer herrschte nämlich die Meinung vor, die „Entartete Kunst“-Kampagne habe sich vor allem gegen die Gemälde gerichtet. Erstmals untersucht ein umfangreiches Forschungs- und Ausstellungsprojekt der niederländischen Universität von Nijmegen jetzt die Bedeutung der zeitgenössischen Avantgarde-Bildhauerkunst für die Kulturpolitk der Nationalsozialisten. Die Ausstellung, die nach Nijmegen noch bis Januar 1992 im Frans-Hals-Museum in Haarlem zu sehen ist, kommt anschließend nach Bremen, Münster, Duisburg und Mannheim.

Der Plastik und dem Werkmaterial Stein hatten die faschistischen Kulturideologen in Deuschland schon lange vor Hitlers Machteinsetzung und der „Entartete Kunst“-Aktion ihre Aufmerksamkeit gewidmet. Bereits 1937 war der „Kampfbund für Deutsche Kultur“ mit dem Ziel gegründet worden, in Schriften und Vorträgen das deutsche Volk über den „Zusammenhang zwischen Rasse, Kunst, Wissenschaft, moralische und militärische Werte“ aufzuklären. Seine Agitatoren wetterten schon früh auch gegen den angeblich „undeutschen Geist“ des im selben Jahr von Ernst Barlach geschaffenen pazifistischen Güstrower Ehrenmals. NS-Kulturideologe Paul Schulze- Naumburg (Kunst und Rasse) nannte Barlachs Werk „unheroisch“ und „rassisch nicht einzuordnen“, weil es nicht den allgemein geforderten Heldenpathos zelebrierte.

Die öffentliche Hetze zeitigte Wirkung:

1932 warfen faschistische Schlägertrupps in Barlachs Haus die Fenster ein, ein Jahr später wurde der Künstler, der nach 1914 mit der Bronze Der Rächer aus nationalistischen Motiven den Ersten Weltkrieg hoffnungsfroh begrüßt hatte, unter ständige Polizeibeobachtung gestellt; seine Post wurde zensiert.

Es waren Skulpturen und Plastiken, keinesfalls allein die Bilder, gegen die sich der Zorn der Nazis schon früh manifestierte. Die Ursache für dieses Phänomen dokumentiert die niederländische Forschungsgruppe unter Leitung von Professor Christian Tümpel in ihrem Katalog. Wesentlich ist die unterschiedliche politische Funktion von zwei- und dreidimensionaler Kunst: Während die Maler im Nationalsozialismus agitieren und mit historischen Zitaten in Richtung Vergangenheit gewandt verklären durften, hatten die Bildhauer durch die plastische Verkörperung faschistischer Ideale und Werte vor allem die Machtposition und den Machtanspruch der Regierenden staatstragend zu dokumentieren. So strotzten die Monumentalskulpturen, die Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker und Josef Thorak später auch unter Einsatz von Kriegsgefangenen in ihren Staatsateliers fast industriell produzierten, vor Kraft, Härte und Kampfbereitschaft. Blankpolierter Marmor und harter grauer Granitstein symbolisierten in der Bildhauerkunst wie in der Massivarchitektur der Partei- und Regierungsbauten die vorgebliche Ewigkeit des propagierten „1000jährigen Reiches“. Eine in der populistischen Kulturzeitschrift 'Kladderadatsch‘ 1933 veröffentlichte programmatische Karikatur zeigt den gelernten Kunstmaler Adolf Hitler denn auch nicht bei der Durchsetzung seiner Vorstellung von Malerei.

In einen Atelierkittel gekleidet, zerstört der Diktator mit einem einzigen Faustschlag die Skulptur eines augenscheinlich jüdischen Künstlers. Aus dem Material formt Hitler einen jener muskelbepackten Modellathleten à la Breker, der entschlossen beide Fäuste ballt.

In der jetzt in den Niederlanden zu sehenden Ausstellung offenbart sich die kreative Gegenwelt jener Zeit, die so gar nicht mit der hohlen Staatsideologie konform gehen mochte. Den AusstellungsmacherInnen ist es gelungen, etwa 80 Skulpturen von 40 deutschen Künstlerinnen und Künstlern zusammenzutragen, die zwischen 1933 und 1945 als „entartet“ verfolgt wurden. So entstand 1922 die nur 90 Zentimeter hohe Holzplastik Arbeiterfrau mit Kind des in München geborenen Bildhauers Christian Voll, die radikal mit allen bis dato gängigen Mutter-Kind-Darstellungen brach. Eine proletarisch gekleidete Frau mit eingefallenen Wangen hält einen kleinen Jungen mit angstvoll aufgerissenen Augen an der Hand. Das Kind scheint ihr Sorgen zu machen: Die Frau blickt niedergeschlagen zur Erde — für Mutterglück, das die Nazis so gern und oft priesen, für Schutz und Geborgenheit des Kindes ist angesichts des dargestellten Elends kein Platz.

Auch Ernst Barlach hatte in der Zeit zwischen den Kriegen ein anderes Verhältnis zu seinem Staat gewonnen. „Sie werden mit mir kurzen Prozeß machen, wenn die Stunde kommt“, hatte er am 27.Dezember 1930 in einem Brief an den Verleger Reinhard Piper prophezeit. Drei Jahre später schuf er mit seiner Bronze Hockende Alte das expressive Abbild der resignierten Menschen jener Zeit. Barlach selbst charakterisierte den Typus, der in seinen Skulpturen seit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft entstand, später selbst als „lebende Leichen“. In das Weltbild der Machthaber paßten diese Werke nicht mehr. Die NS- Kulturoffiziellen gingen sogar so weit, Tierplastiken von Ewald Mataré, Gerhard Marcks, Otto Baum und anderen zu verbieten, weil sie nicht Stärke, sondern Anmut verkörperten.

Während Barlach, Mataré und andere in der Schau vertretenen Künstler (unter ihnen Kirchner und Kollwitz, Kolbe und Lehmbruck) nach dem Krieg in Ausstellungen und Publikationen wiederentdeckt und rehabilitiert wurden, gilt die von den Nazis ausgesprochene Verbannung für einige von ihnen bis heute. Am Werk des gebürtigen Pommern Otto Freundlich etwa kommt niemand vorbei, der sich mit der Geschichte der „Entarteten Kunst“ befaßt. Hundertausendfach reproduziert, war seine Skulptur Der neue Mensch 1937 auf der Titelseite des Ausstellungsführers Entartete Kunst abgebildet. Der 140 Zentimeter hohe kubistische Kopf galt den Verantwortlichen so sehr als Inbegriff des Verabscheuungswürdigen, daß sie das Werk separat in einem Vorraum ausstellten. Ein Freundlich-Zitat über seine Kunst sollte den Künstler diskreditieren: „Heute stehen wir außerhalb der Geschichte jeder Art, sind reif geworden zu dem An-Sich unserer Weltbestimmung.“ Den Nazis genügte das fehlende Bekenntnis zur deutschen Geschichte, Freundlichs Engagement im „Arbeitsrat der Kunst“ während der Novemberrevolution von 1918 und seine jüdische Abstammung, um den Bildhauer als „Anarchobolschewisten“ zu verfolgen. Am 21. Februar 1943 nimmt ihn im südfranzösischen Pyrenäendorf St.Martin-de-Fenouillet ein Gestapo-Kommando fest. Von dort ins Vernichtungslager Lublin- Majdanek deportiert, wird Otto Freundlich wahrscheinlich am 9.März umgebracht. Nach dem Krieg waren seine Werke dann zwar in verschiedenen Sammelausstellungen zu sehen. Seine Schriften wurden teilweise veröffentlicht; eine Einzelausstellung des Werkes von Otto Freundlich aber gab es nie.

Gerade hier liegt neben dem kunsthistorischen auch das politische Verdienst des Nijmegener Ausstellungsprojekts: Obwohl alle Werke im Museum nur spärlich auf kleinen Tafeln kommentiert werden, der Besucher als weitgehend ungeleitet durch einen Wald von Skulpturen und Reliefs wandelt, fordert deren Gesamtheit doch zur Erinnerung auf und macht neugierig auf mehr: Man möchte mehr über diese Künstlerinnen und Künstler wissen, deren Namen zu einem nicht unwesentlichen Teil in den Museen und in den Ausstellungskatalogen bis heute nicht wiederaufgetaucht sind, weil ihre Werke wieder oder noch immer in den Kellerdepots versteckt sind. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis im ausführlich bebilderten Katalog, der im Frühjahr auch in deutscher Sprache erhältlich sein wird, leistet dabei wertvolle Hilfe. Die Frage, warum sich kein deutsches Museum bisher darangemacht hat, diese kunstgeschichtliche Lücke zu schließen, kann freilich auch er nicht beantworten.

„,Entartet‘ Beeldhouwkunst — Duitse Beeldhouwers 1900-1945“,

Frans-Hals-Museum, Haarlem, noch bis 12.1.1992;

Gerhard-Marcks-Haus, Bremen, 26.1-29.3.1992;

Westfälisches Landesmuseum Münster, 12.4.-14.6.1992;

Wilhelm-Lehmbruck-Museum, Duisburg, 28.6.-9.8.1992;

Städtische Kunsthalle Mannheim, 6.9.-15.11.1992.

Der Katalog hat 270 Seiten und kostet 49,50 Dfl.