: Werden Betriebe unter Wert verkauft?
Der magyarische Testlauf bei der Privatisierung hat bislang nicht die erhofften Ergebnisse gebracht ■ Aus Budapest Keno Verseck
Wenn irgendwo in Ungarn Kritik an der schleppenden Privatisierung fällt, reagieren die MitarbeiterInnen der Staatlichen Vermögensagentur (ÁVÜ) sauer. Csaba Gellényi, einer der Direktoren der Privatisierungsanstalt, zieht sich verärgert auf einen legalistischen Standpunkt zurück: „Ich betone ausdrücklich, daß wir nur geltende Verordnungen anwenden.“ Dem Vorwurf, die AVÜ arbeite zu langsam und verzögere so die wirtschaftliche Entwicklung, widerspricht er mit umständlichen Erklärungen: Man habe zunächst die spontane Privatisierung, die „vor zwei Jahren noch einer Verwüstung, einer Denationalisierung glich“, unter Kontrolle bringen müssen — eine Aufgabe, die inzwischen erfolgreich bewältigt sei.
Für Karoly Attila Soós, Wirtschaftsexperte und Mitglied im Parteivorstand der SZDSZ, der größten ungarischen Oppositionspartei, liegt genau darin das Problem: „Es gibt zu viele überflüssige Kontrollen. Heute sind wir mit der Privatisierung im wesentlichen auf dem Stand, den schon die kommunistische Regierung erreicht hatte.
Wenngleich Soós' Urteil überzogen scheint, trifft seine Kritik doch den Kern der Sache: Seit Gründung der ÁVÜ im März 1990 stockt der Privatisierungsprozeß. Ins Leben gerufen wurde die Agentur, um jene spontane Privatisierung einzudämmen, bei der die kommunistischen Betriebsdirektoren ihre Firmen zu Spottpreisen an westliche Interessenten verhökerten und sich im Gegenzug Managerposten zusichern ließen oder astronomische Abfindungen kassierten. Doch die direkt von der Regierung überwachte ÁVÜ griff gleich im ersten Jahr so stark kontrollierend in den Privatisierungsprozeß ein, daß er fast zum Erliegen kam.
So wurden bis zum Februar dieses Jahres zwar noch 200 größere Unternehmen verkauft; dies geschah jedoch meistens „spontan“ auf Initiative des Firmenmanagements. Demgegenüber erbrachte die von der ÁVÜ angeleierte „aktive“ Umwandlung miserable Ergebnisse. Im Rahmen des Vorprivatisierungsprogrammes, das zirka 10.000 Einzelhandelsgeschäfte und Restaurants einschließt, wechselten bis Anfang 1991 gerade zehn den Besitzer, am Jahresende werden es vermutlich 1.000 sein. Und das als Testlauf gedachte erste Privatisierungsprogramm der ÁVÜ mit 20 der profitabelsten Großunternehmen lief erst im Sommer richtig an, ein Zeitpunkt, zu dem es eigentlich schon abgeschlossen sein sollte.
Mittlerweile hat die Regierung eingesehen, daß man mit der nationalistischen Variante des Antikapitalismus zwar Politik machen, nicht aber eine marode Wirtschaft sanieren und westliches Kapital anlocken kann. Die Privatisierungs-Kontrollen wurden wieder gelockert; die mit nur 137 MitarbeiterInnen völlig überlastete ÁVÜ setzte gar die Forderung des SZDSZ-Fraktionschefs Màrton Tardos nach einer „Privatisierung der Privatisierung“ in die Tat um: Im Oktober 1991 lief ein Programm an, bei dem die ÁVÜ den Verkauf von 100 kleineren Staatsfirmen an Unternehmensberater delegierte. Außerdem sollen demnächst Investment- Fonds gegründet werden, die gezielt nach KäuferInnen suchen und als Mittler auftreten.
Geholfen hat die neue Strategie in diesem Jahr freilich wenig, denn der Zusammenbruch des Comecon- Marktes hat einen Großteil der Vorhaben zum Einsturz gebracht. Auch in Eigentums- und Steuerfragen hat sich trotz Schaffung eines Entschädigungsgesetzes nicht viel bewegt: So mußten im Falle der Danubius-Hotelkette 18 verschiedene Verhandlungen geführt werden, weil die Grundstücke, auf denendie Hotels stehen, 18 verschiedenen Lokalverwaltungen gehören. Am Ende scheiterte der Deal, weil die Regierung eine neue Steuerverordnung vorbereitete.
Die Ergebnisse der Privatisierung sind denn auch weit unter den Erwartungen zurückgeblieben. Von den 2.200 unter ÁVÜ-Verwaltung stehenden größeren Unternehmen sollten in diesem Jahr 300 bis 400 mit einem Gesamtwert von etwa 550 Milliarden Forint (rund 12 Milliarden Mark) privatisiert werden; die ÁVÜ erwartete dadurch Einnahmen in Höhe von 40 bis 50 Milliarden Forint (0,85 bis 1 Milliarde Mark). Der Anteil des Privateigentums im Unternehmensbereich erreicht bis dato nur 15 statt der anvisierten 25 Prozent. Tatsächlich wurden bis jetzt jedoch lediglich 200 Fälle gelöst; die Einnahmen werden zum Jahresende wahrscheinlich nur kärgliche 30 Milliarden Forint ausmachen. Ein um so schmerzlicheres Resultat, als der größte Teil zur Tilgung der Staatsschulden eingeplant war.
Für die schlechte Bilanz machte ÁVÜ-Chef Lajos Csepi neben dem Zusammenbruch des Comecon- Marktes die Instabilität Osteuropas verantwortlich. Diese habe ausländische Investoren deutlich abgeschreckt. Karoly Attila Soós nennt ein weiteres Dilemma: „Die ÁVÜ befürchtet, irgendetwas unter Wert zu verkaufen, und übertreibt deshalb manchmal Bedeutung und Wert der Firmen. Wenn sich die Arbeit der ÁVÜ in die Länge zieht, sinkt der Wert der Firmen und damit auch die Einnahmen.“
Bis Ende 1992, so der AVÜ-Plan, sollen alle Staatsfirmen in Aktiengesellschaften umgewandelt sein; ebenfalls bis dahin muß jede Staatsfirma ein Privatisierungskonzept vorgelegt haben. Bei den 100 wichtigsten Unternehmen möchte Ungarn mindestens 51 Prozent des Kapitals behalten und sie in eine Staatsholding überführen. 1994 schließlich soll der Anteil des Privateigentums 50 Prozent erreichen. Daß der Zeitplan bei den jetzigen Schwierigkeiten eingehalten werden kann, glaubt Soós nicht. Aber er hat ein Rezept: „Die Privatisierung vorantreiben, auch wenn dadurch Betriebe teilweise unter Wert veräußert werden.“
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