Keine Rechte für Schutzsuchende

Der Entwurf des Bundesinnenministeriums zur Neuregelung des Asylverfahrens genügt weder der Verfassung noch den Prinzipien des Rechtsstaats/ Der Kreislauf Knast-Sammellager-Knast ist vorprogrammiert  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Das Bundesinnenministerium will Flüchtlinge nicht nur in Sammellager stecken und sie praktisch ununterbrochen unter Aufsicht stellen, sondern beim geringsten Anlaß auch gleich in den Knast schicken. So sieht es das über hundert Seiten starke Papier vor, das das Innenministerium auf Grundlage des sogenannten „Asylkompromisses“ erabeitet hat, mit dem sich die Altparteien in trauter Runde beim Kanzler auf eine Verkürzung der Asylverfahren auf sechs Wochen geeinigt hatten. Als ein „bemerkenswertes Machwerk“ bezeichnet ihn der Münchner Rechtsanwalt Hubert Heinhold, und Rainer Hofmann, Sprecher von Pro Asyl, glaubt, daß nach Verabschiedung „dieses Entwurfs“ nicht einmal eine „ordnungsgemäße anwaltliche Vertretung von Asylsuchenden“ mehr möglich ist. Der „Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Asylverfahrens“ ist „teilweise schlampig gemacht, teilweise verfassungswidrig und teilweise rechtsstaatswidrig“ — so urteilt Anwalt Heinhold, Sprecher des Republikanischen AnwältInnenvereins (RAV) in Sachen Asyl.

Der Entwurf sortiert nicht nur, wie von den Altparteien verabredet, die Flüchtlinge in zwei verschiedene Verfahrensgänge ein: Angeblich von vornherein „offensichtlich unbegründete“ Anträge sollen in einem Schnellverfahren mit kürzeren Fristen bearbeitet werden. Praktisch alle Flüchtlinge werden zunächst monatelang in Sammellager mit mindestens 500 Plätzen gesteckt. Der Entwurf macht nicht nur den Lagerrichter möglich, der im Sammellager seinen Sitz hat. Der Entwurf raubt vor allem den Flüchtlingen den Schutz vor staatlicher und gerichtlicher Willkür.

Der Schutzsuchende soll sich künftig in der Bundesrepublik keinen Moment frei bewegen können: Nach dem Asylantrag an der Grenze, bei der Polizei oder auf dem Ausländeramt hat er sich einer Erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen und ist, „sofern er nicht in Haft genommen wird“, dann „unverzüglich“ ins Sammellager, in „die nächstgelegene Erstaufnahmeeinrichtung weiterzuleiten“. Nach Paragraph 23 „sollen bei der Weiterleitung Reiseweg und Beförderungsmittel vorgeschrieben werden“. Nimmt der Flüchtling den falschen Bus oder Zug, kommt die Polizei: Dann kann die Weiterleitung „im Wege des unmittelbaren Zwanges durchgesetzt“ werden.

Lieber gleich in den Knast

Der Gesetzentwurf läßt überdies keine Gelgenheit aus, Flüchtlinge nicht in das Sammellager, sondern gleich in den Knast zu stecken. Obligatorisch soll die Inhaftierung von Flüchtlingen künftig sein, wenn diese im bürokratischen Getriebe eine Woche lang nicht auffindbar sind. So ist nach dem Paragraphen 69 „der Ausländer in Haft zu nehmen“, wenn er binnen Wochenfrist in der ihm zugeteilten Erstaufnahmeeinrichtung nicht eintrifft, wenn er diese mehr als eine Woche lang verläßt, wenn er einer anderen Zuweisungsverfügung in sieben Tagen nicht Folge leistet oder einfach „unter der von ihm angegebenen Anschrift nicht erreichbar ist“. In allen diesen Fällen hat der Haftrichter nach dem Gesetzestext die Inhaftierung des Flüchtlings anzuordnen, selbst wenn er persönlich zu der Überzeugung kommen mag, daß etwa eine Zuweisungsverfügung durch Sprachschwierigkeiten, Krankheit oder durch Schlamperei der Behörden ins Leere gelaufen ist. Daß der Haftrichter hier „keine inhaltliche Entscheidungsbefugnis“ mehr haben soll, nennt RAV-Anwalt Heinhold „klar verfassungswidrig“.

Nach demselben Paragraphen „kann“ ein Flüchtling von vornherein in Haft genommen werden, wenn „seine Identität ungeklärt ist“. Den vielen Schutzsuchenden, die nur mit Hilfe falscher Papiere vor Verfolgung fliehen konnten, droht damit nach ihrer Ankunft als erstes ein Gefängnisaufenthalt. Verschärfen will der Gesetzentwurf auch die Bestimmungen des Ausländergesetzes über die Abschiebehaft. Sie soll für abgelehnte Asylbewerber praktisch zum Regelfall werden. Für diese Haft soll einmal allein der „Verdacht“ ausreichen, „daß sich der Ausländer der Abschiebung entziehen will“. Zum zweiten und schlimmeren muß die Abschiebehaft künftig immer vom Richter angeordnet werden, wenn der Asylsuchende vor dem Verfahren „unerlaubt“ eingereist ist. Ohne gültiges Visum, somit „unerlaubt“, kommen aber die meisten Flüchtlinge in die Bundesrepublik. „Dies kann zur Massenverhaftung abgelehnter Asylbewerber führen. Die Sammellager werden geleert und die Gefängnisse gefüllt“, sagt Rechtsanwalt Heinhold. Knast, Sammellager, Knast — diesen Zyklus hatten die Verfasser des Kompromiß- Gesetzentwurfes offenbar vor Augen.

Jenseits des Rechtsstaates liegt der Entwurf auch mit einer Reihe weiterer Bestimmungen. Einen zweiten Asylantrag etwa, einen Folgeantrag, läßt er nach einer „rechtskräftigen Abschiebeandrohung“ zwei Jahre lang nicht mehr zu — als könnte sich in dieser Zeit die politische Situation in der Heimat des Flüchtlings nicht zum Schlimmen ändern. In einer Abschiebeandrohung braucht künftig das Land, in das der Flüchtling verfrachtet werden soll, nicht immer konkret benannt zu werden. Die Behörden können auch die Abschiebung in „die europäischen Staaten“ androhen — um dann vieleicht am Frankfurter Flughafen zwischen Maschinen nach Albanien, nach Bukarest oder in die Türkei zu wählen?

Klagefrist: eine Woche

Erfolgreiche Klagen von Flüchtlingen gegen Entscheidungen des Bundesamtes will der Gesetzentwurf geradezu verhindern. Die Klagefristen sind in der Rgel nicht länger als eine Woche. Kein Anwalt kann sich so ordnungsgemäß mit Akteneinsicht beim Bundesamt auf einen Schriftsatz vorbereiten. Über Klagen gegen ablehnende Entscheidungen des Bundesamtes soll künftig in der Regel als erste und einzige Instanz ein Einzelrichter entscheiden. Nur in Ausnahmefällen soll dieser gottähnliche Einzelrichter Fälle von grundsätzlicher Bedeutung dem Bundesverwaltungsgericht vorlegen. Nach Auffassung von Rechtsanwalt Heinhold wird dies nicht nur zu einer totalen Überlastung des Bundesverwaltungsgerichts führen, sondern auch zu einer Flut von Verfassungsbeschwerden, die Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung in Sachen Asyl monieren werden.

Das Gesetz — ein Irrgarten

Bisher hat das Asylverfahrensgesetz 45 Paragraphen, auf 92 bringt es der Entwurf. „Das Verfahren wird dadurch nicht beschleunigt und entbürokratisiert, sondern in großen Teilen komplizierter als jetzt“, sagt denn auch Hubert Heinhold. Selbst der niedersächsische Innenminister Gerhard Gloglowski, der auf seiten der SPD an dem sogenannten „Asylkompromiß“ der Altparteien mit ausgearbeitet hat, bescheinigte dem Entwurf eine „komplizierte Gesetzesstruktur“, die den Vollzug erheblich erschwere und am Ende auch noch „der beabsichtigten Beschleunigung der Asylverfahren entgegenwirkt“. Niedersachsen hat wie die anderen Länder jetzt seine Stellungnahme zum dem Gesetz nach Bonn gesandt. Das Land hält den Entwurf noch aus einem weiteren Grund für „verfassungsrechtlich problematisch“: Er schreibt den Ländern detailliert Zuweisung und Unterbringung von Flüchtlingen vor und greift damit unzulässig in deren Organisationshoheit ein. Das Bundesratsministerium hat Bonn bereits angekündigt, daß auch künftig in Niedersachsen Flüchtlinge höchstens zwei Wochen in den großen „Zentralen Anlaufstellen“ des Landes untergebracht würden. Anschließend sollen sie wie bisher auf Flüchtlingswohnheime oder direkt in die Gemeinden verteilt werden.