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Wichtig ist, daß man einen Kopf hat

■ Eine Vertheaterung von Alfred Döblins »Berlin Alexanderplatz« in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

Auf der kalten, schwarzen Bühne mit Eisentreppen und sterilem Arbeitslicht liegt zerfetztes Zeitungspapier. Aus einem Papierberg kriechen zwei zerfledderte und obdachlose Wermutengel. Sie werden, zusammen mit der Gestalt des Todes, als Conferenciers den Lebensweg des Franz Biberkopf begleiten.

Als Franz Biberkopf, überzeugend gespielt von Günter Junghans, nach vierjähriger Haft (wegen Totschlags seiner Geliebten) 1928 das Gefängnis verläßt, tummeln sich auf den Straßen Berlins Prostituierte, Zuhälter, kommunistische Arbeiter und SA-Schergen, und über dieser Szenerie thront die große Hure Babylon. Er ist ein anständiger Mensch geworden, der Franz Biberkopf, und so geht er zuerst einmal zu der Schwester der ermordeten Geliebten und vergewaltigt diese.

Ein Mann im Polizeipräsidium rät ihm, sich schnellstens Arbeit zu verschaffen: Er verkauft zunächst Schlipshalter, dann den 'Volksboten‘. Franz Biberkopf hat nichts gegen Juden, ist aber für Ordnung und arrangiert sich mit dem Tragen der Hakenkreuzbinde. Damit verscherzt er es sich mit seinen alten Arbeiterfreunden, fällt aber in die offenen Arme des Zuhälters Reinhold (virtuos stotternd: Klaus Piontek). Eine Männerfreundschaft entsteht. Als er nach einem Einbruch mit Reinhold aus der »Firma« aussteigen möchte, wirft ihn dieser aus dem fahrenden Wagen.

In einem Schlachthof mit von der Decke herabhängenden Schweinehälften erwacht Franz einarmig. Zu einem Ballett von männlichen Strippern tanzt der Tod mit der Hure Babylon. Das befreundete Pärchen Eva (großartig gespielt von Angelika Waller) und Herbert (souverän: Herbert Sand) besuchen Franz und führen ihm Emilie (facettenreich: Astrid Krenz) zu, die er sofort in »Mieze« umbenennt. Für ihn geht sie auf den Strich und entwickelt eine lesbische Liebe zu Eva, nachdem diese ihr erklärt hat, daß sie ein Kind von Franz Biberkopf haben möchte. Franz gesellt sich wieder zu Reinhold, und nachdem er sein »Kätzchen« aus Eifersucht verstößt, macht sich Reinhold selbst an sie ran. In einem Park vergewaltigt Reinhold Mieze und bringt sie anschließend um. Der Tod spricht dazu Bibelzitate.

Franz wird als Mörder gesucht und Eva erzählt ihm, daß sie schwanger von ihm ist. Doch Franz zerbricht am Tode seiner Mieze, wird bei dem Versuch, sich auf dem Friedhof das Leben zu nehmen, verhaftet und landet in der Irrenanstalt. Als ihm der nun festgenommene Reinhold vorgeführt wird, leugnet er, ihn zu kennen. Er fragt sich, wozu Gott diese Welt geschaffen habe und warum er daran scheitert, ein »anständiger« Mensch zu sein. Aus der Anstalt entlassen, versucht er weiter, auf der Flucht vor dem Tod, seine Art von Leben zu leben und ist wahrscheinlich noch unter uns.

Die Textfassung von Bärbel Jaksch und Heiner Maaß nach dem großen Roman von Alfred Döblin wurde 1988 neu bearbeitet. In dem unterkühlten, aber die Stimmung des Textes unterstreichenden Bühnenbild von Jochen Finke wird durch die Verwendung von wenigen Möbelstücken und Requisiten die Atmosphäre der wechselnden Spielorte hergestellt. Der Raum bleibt immer schauspielerfreundlich weit und offen. Das Regieduo Helmut Straßburger und Ernstgeorg Hering kann auf einem professionellen und spielfreudigen Ensemble die Handlung aufbauen. So bleibt das Geschehen durch den Verzicht überflüssiger Mätzchen immer konzentriert auf die Charaktere der einzelnen SchauspielerInnen. Ohne Kitsch und Pathos entsteht eine spannende und berührende Geschichte.

Obwohl diese Inszenierung noch aus der Zeit vor der Maueröffnung stammt, haftet ihr nichts Altertümliches oder Verstaubtes an. Es ist ehrliches und gekonntes Theater. York Reich

Weitere Aufführungen: 28. 1. und 5. 2. um 19.30 Uhr in der Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz.

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