: Die Chronik in der Chronik
Erst 1876 bis 1879 erhielten die Balkonbrüstungen des ersten Obergeschosses ihre bildkünstlerische Ausgestaltung. 36 Bildreliefs erzählen Episoden aus der Geschichte Berlins von den Anfängen bis zum Jahre 1871. Folgende vier Bildhauer fertigten diese Reliefs: Ludwig Gustav Eduard Brodwolf (1839 bis 1895), Alexander Ludovico Calanrelli (1834 bis 1903), Karl Ludwig Otto Geyer (1843 bis 1914) und Rudolf Schweinitz (1839 bis 1896).
Neun dieser Tafeln wurden im Krieg zerstört. 1952 bis 1954 konnten acht Tafeln nach den vorhandenen Bildvorlagen durch die Bildhauer Richard Schnauder (1886 bis 1956) und Hansfritz Werner (1894 bis 1959) rekonstruiert werden, ein Relief mit der Darstellung von Künstlern und Gelehrten im »Zeitalter Friedrich Wilhelms III.« wurde total zerstört. Aus diesem Grunde fehlen nun in der Chronik solche Persönlichkeiten wie Karl Friedrich Schinkel und Peter Joseph Lenné. Anstelle des zerstörten Reliefs wurde ein Ausschnitt des Relieffrieses aus dem Treppenhaus der Berliner Nationalgalerie von der Museumsinsel als Analogie eingefügt. Der Bildhauer Otto Geyer hatte diesen kulturgeschichtlichen Fries 1876 gearbeitet. Das neue Relief »Zeitalter Friedrich Wilhelms III.« modellierte Richard Schnauder 1954, das ursprünglich an dieser Stelle befindliche war nach Entwurf von Calandrelli 1878 von Ludwig Drake modelliert worden.
Die Reliefs der fünfziger Jahre unterscheiden sich durch ihren dunkelrötlichen Farbton von den hellroten des 19.Jahrhunderts. Vorgestellt werden im Bild die Tafel11 »Gewerbetätigkeit — Gewerbe« im Mittelalter, signiert Otto Geyer 1876 — dargestellt sind hier Bäcker, Schuster und Tuchmacher als die ältesten Gewerke der Stadt; Tafel30 ist die bereits erwähnte »Zeitalter Friedrich Wilhelms III.«; Tafel36 ist der »Wiedererrichtung des Deutschen Reiches 1871« gewidmet — ein Zeitungsjunge verkündet die Kaiserproklamation WilhelmsI. in Versailles, zu dieser festlichen Gelegenheit wird das Staatswappen feierlich mit Eichenlaub bekränzt, und am Tisch sitzen vereint der Sachse, der Preuße und der Bayer und stoßen mit einem Schoppen Wein auf die deutsche Einheit an.
Aus: Das Berliner Rathaus. Von Ingrid Bartmann, Kompa. Henschel Verlag, Berlin 1991.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
