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In Bergwerken zu Gast

Franz Fühmann wäre heute siebzig geworden. Sein unvollendeter Roman „Im Berg“ ist unter anderem als Abrechnung mit dem DDR-Sozialismus zu lesen  ■ Von Bettina Rubow

Die Herren H.Kant und D.Noll ersuche ich, von der Teilnahme am Begräbnis abzusehen — falls sie diesen Wunsch verspürt haben sollten. Ebenso Herrn G.Henninger oder einen offiziellen Vertreter dieses Schriftstellerverbandes.“ Deutlicher als in Franz Fühmanns Testament vom 26.Juli 1983 kann ein Bruch wohl nicht ausgesprochen werden. Die Demission Kants, der die Literaturpolitik der Ex-DDR so lange dominiert hatte, erlebte Fühmann nicht mehr. 1984 starb der Schriftsteller in Berlin.

Geboren wurde Franz Fühmann vor siebzig Jahren. Am 15.Januar 1922 kommt er als Sohn des Apothekers und späteren Ortsgruppenleiters der NSDAP in Rochlitz (Riesengebirge) zur Welt. Mit siebzehn meldet er sich zur Wehrmacht, wird in der Ukraine und in Griechenland eingesetzt und gerät 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Der Besuch einer Antifa-Schule in Lettland befördert Fühmanns Katharsis: Der gläubige Hitlersoldat läutert sich zum Sozialisten. 1949 wird er in das „andere Deutschland“ entlassen, dessen Partei und Staatsführung er sich über lange Jahre hinweg verpflichtet fühlt.

Das Bedürfnis nach radikaler Wandlung beginnt Fühmanns gesamtes Leben und Schreiben zu bestimmen. Sein Schuldbekenntnis ist radikal und gipfelt in der Gleichung „Fühmann=Höß“. Mit seiner schriftstellerischen Arbeit will er dem neuen, dem antifaschistischen Staat dienen. Wie viele Autoren der DDR hat auch Franz Fühmann das lyrische Schreiben Ende der fünfziger Jahre aufgegeben, die Dichter einer als dekadent diffamierten Literatur verworfen und die zutiefst erschütternde Wirkung ihrer Gedichte auf ihn verdrängt. Er vergißt „seinen“ Georg Trakl, dessen Gedichte er als Soldat im Ranzen mit sich trug und die ihm in den letzten Tagen als Krieger die Augen über das Ausmaß der Zerstörung geöffnet hatten. Wie viele Kollegen wird auch Fühmann zum Alkoholiker, er sitzt (bis 1966) im Schriftstellerverband, die Flasche neben sich, und schreibt antifaschistische Erzählungen, die in der DDR positiv enden (prominentestes Beispiel ist Das Judenauto von 1962).

Zunehmend wird ihm die Problematik einer nur einseitig vollzogenen Wandlung — im Sinne eines bloßen Umschlags der Ideologen — bewußt. In seinem (wunderbar offenen) Ungarn-Reisetagebuch 22 Tage oder Die Hälfte des Lebens (1973) wirft er sich vor, literarisch gescheitert zu sein: „Meine vergeblichen Versuche, das zu beschreiben, was man Wandlung nennt! Sie ist die Erfahrung meines Lebens, sie ist seit zwanzig Jahren mein Thema, aber sie ist es eigentlich noch immer als Vorsatz! Ich habe das Vorher geschildert, ein wenig das Nachher, aber der entscheidende Prozeß, eben der Wandlung, ist literarisch nicht bewältigt.“

Erst in seiner erneuten Auseinandersetzung mit der Dichtung Georg Trakls erkennt Fühmann den Grund für diese Schwierigkeit. Mit dem schlechten Alten hatte er auch das gute Alte seiner Persönlichkeit gekappt: mit dem deutschen Kriegsgeist auch die Gedichte Georg Trakls, die seine Wandlung entscheidend beeinflußt hatten. Georg Trakl (und mit ihm die Dichtung der Moderne) hatte der „Linie“ des „sozialistischen Realismus“ geopfert werden müssen. Im Konflikt zwischen Dichtung und Doktrin, Literatur und Politik, begibt sich Fühmann auf die Suche nach sich selbst. In seinem autobiographischen Trakl-Essay Der Sturz des Engels (1982) beschreibt er auf eindrucksvolle Weise seine Erfahrung mit Trakls Dichtung und zugleich die selbsterfahrene Dialektik von Wandlung und Kontinuität. Bei Trakl findet er die Konstanten seines eigenen Schaffens bestätigt: die schonungslose Analyse der Schuld, das Wissen um die Unvermeidlichkeit des Scheiterns von Lebensillusionen, das Bewußtsein von den Nöten des Einzelnen in einer „bleiernen“ Zeit. Mit der Rehabilitierung von Trakls Dichtung rettet Fühmann seine eigene Identität. „Du verlierst nichts von dem, was du einmal warst, und bist gewesen, was du erst wirst“, schreibt er am Ende des (mit Preisen und auch sonst ganz ausgezeichneten) Essays. Die Literatur hat gesiegt.

Verlassen will Fühmann sein Land nicht. Die Suche nach dem Standort als Schriftsteller „in einer Gesellschaft, deren Führung sich in ihrer staatlichen Form als Diktatur des Proletariats versteht“, führt ihn hingegen in das unterirdische Reich der romantischen Kupferkönigin: „Seit dem Sommer 73 bin ich alljährlich ein paar Wochen in Bergwerken zu Gast, abwechselnd im Kupfer und im Kali, und meine Freunde fragen mich, was ich dort treibe. Ich könnte es bündig so sagen: ich bin provoziert und hingerissen; aber diese Antwort genügt ja nur mir.“

Schon seine erste Einfahrt im Juni 1974 (Fühmann hatte sich als Honorar für eine Lesung von den Kumpeln des Kupfer-Kombinats Mansfeld eine Grubenbesichtigung erbeten) verschafft ihm sein „Urerlebnis“: Hier, untertage, findet er seinen Ort. Seither, und bis zu seinem Tod im Jahre 1984, arbeitet Fühmann an seinem „Bergwerk-Projekt“, einem Roman-Essay, der seine literarischen und philosophischen Erfahrungen und seine Abrechnung mit der sozialistischen Gesellschaft in einer vielschichtigen Metapher bündeln soll. Bereits 1974 ist der Plan zum Buch da, doch dann schieben sich immer neue Hindernisse vor seine Realisierung: mythologische Erzählungen, die Beschäftigung mit der romantischen Dichtung, vor allem mit E.T.A. Hoffmann, der Trakl-Essay, die Herausgabe der Schriften Freuds. Was als große Geste von innen heraus geplant war, wird schließlicn als Bericht eines Scheiterns (so der Untertitel) im Fragment akzeptiert. Eingebettet in andere Texte aus dem Nachlaß ist Im Berg 1991 erschienen. Herausgeberin ist Fühmanns langjährige Lektorin Ingrid Prignitz.

Das „Bergwerk“ ist das Gleichnis seines Lebens. Im Berg findet Fühmann den — als Unten zum Oben hinreichend entfernten — Ort, um die Fragen abschließend zu klären, die ihn über Jahrzehnte hinweg gequält hatten: was den gesellschaftlichen Nutzen künstlerischer Arbeit ausmache und was denn fehle im Sozialismus, daß „die Arbeit so auf den Hund kommen mußte“. Die Tätigkeit des Bergmanns erinnert den Schriftsteller an seine eigene: Schieferbrechen und Schreiben, so heißt es in dem gleichnamigen Aufsatz von 1976, dringen beide in die Tiefe vor. Unter Tage werden Kaiserzeit, Antike und die „Ahnung der Vorzeit“ gegenwärtig. Die Gegenwart und ihre Methoden der Machtkontrolle, auch im „Unten“ bedrohlich nah, erscheinen historisch überholt und somit darstellbar. Als Fühmann Zeuge einer im Verborgenen geführten Kadersitzung wird, befindet er sich selbst in der problematischen Tradition von Geist und Macht: „Wie Platon am Hof des Dionysios“, sieht sich auch Fühmann als „Philosoph vor den Hebeln der Macht“.Im Berg enthält Reportage und Traumdeutung, Literaturdiskussion und die Suche nach sich selbst, Erkenntnisphilosophie und das Wissen um den nahen Tod. Die Beschreibung der Wirklickeit über Tage, die spannend mit der Schilderung einer Betriebsfeierlichkeit im grotesken Stil E.T.A. Hoffmanns beginnt, hat Fühmann nicht mehr geleistet. Aus dieser Wirklichkeit wären die Hoffmannschen Gespenster nicht zu vertreiben gewesen — „Surrogate eines Surrogats“, wie Fühmann einmal schrieb, DDR-Ersatzwesen einer immer noch bürgerlichen Scheinwelt.

„Werden müssen, was man flieht“ — vom Wiederholungszwang ist eine sozialistische Gesellschaft geprägt, deren Haupteigenschaft Entwicklungsfeindlichkeit ist. Sein Lebensthema — Wandlung — ist in dieser Gesellschaft tabu. Das wachsende Gefühl lähmender Ohnmacht hat Fühmann bereits 1974 in seinen Saiäns Fiktschen-Erzählungen (erschienen 1981) literarisiert. Seine Verzweiflung äußert sich dort in vehementer Kritik. „Schlußpunkte im Bereich gestockter Widersprüche, wo Stagnation als Triebkraft auftritt“, sind die Zustände in Uniterr. „Bewußtseinserhebung“ ist eine Alltagserscheinung und Spitzeldienste werden in erzwungener Freiwilligkeit durchgeführt. Die Saiäns Fiktschen-Erzählungen sollten helfen, „eine existentielle Lähmung zu überwinden“, doch enden die meisten Satiren Fühmanns resignativ; vielfach ergibt sich der Protagonist dem Trunk. Fühmanns Engagement gegen die „Praxis der Abwesenheit“ (Zensur) und für junge Autorinnen und Autoren seines Landes ist bekannt. Mit einer schriftlichen Eingabe protestiert er 1979 gegen das Verfahren zum Ausschluß von neun Kollegen aus dem Schriftstellerverband. In einer imaginären Rede für Wolfgang Hilbig heißt es: „Es ist das Sich-nicht-entfalten-Können auch als Zustand der Gesellschaft, der ihn, und nicht nur ihn, so quält, dieses Brachliegen schöpferischer Kräfte, dies Vertun von Entwicklungsmöglichkeiten, dies Negieren alternativer Bereitschaft, diese Dumpfheit unkritischen Bewußtseins und darüber das satte Selbstbehagen, jene ,schreckliche Zufriedenheit‘, die sich ununterbrochen selbst versichert, daß sie es so herrlich weit gebracht, und die jedes Reflexionsangebot mit der Elle dieses Versicherns mißt.“

Was hätte Franz Fühmann, dieser Philosoph der gnadenlosen Selbsterkundung, wohl zu der neuerlichen „Wandlung“ einer ganzen Gesellschaft gesagt?

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