: Spanien — Eldorado der Korruption?
Bestechung als integrales Mittel von Wirtschaft und Politik/ Die zweifelhaften Vergleiche mit Franco/ Ist es woanders besser? ■ Aus Madrid Antje Bauer
Greifen wir uns aufs Geratewohl eine Zeitung heraus. 'El Pais‘ zum Beispiel vom 17. Januar. Auf Seite 15 beginnt der Inlandsteil mit zwei Seiten über das neueste Attentat der ETA. Seite 17 und 18 berichten über die parlamentarische Untersuchungskommission zu trüben Geschäften der staatlichen Eisenbahngesellschaft RENFE. Diese hatte Grundstücksspekulation betrieben, mit öffentlichen Geldern versteht sich, dazu möglicherweise ihren Eigentümer — den Staat — um Mehrwertsteuer in Millionenhöhe betrogen. Politisch verantwortlich: der damalige Präsident der RENFE und spätere Gesundheitsminister Julian Garcia Valverde (der bereits zurücktreten mußte).
Seite 20 beschäftigt sich mit dem „Kasino-Fall“. Die Betreiberin von drei Spielkasinos in Katalonien wird vor Gericht beschuldigt, Mitte bis Ende der 80er Jahre umgerechnet zehn Millionen DM an die katalanische Partei Convergencia Democratica bezahlt zu haben, der der Landespräsident Jordi Pujol angehört.
Seite 22 berichtet, daß nun ein andalusischer Regionalabgeordneter der Sozialistischen Partei PSOE im „Fall Guerra“ aussagen soll — jener Geschichte um die wundersame Bereicherung von Juan Guerra, Bruder von Alfonso, der bis zu seinem Rücktritt vor einem Jahr Vizepräsident, stellvertretender Parteivorsitzender der regierenden PSOE und so zweitmächtigster Mann im Staate war. Guerra hatte sich, als angeblicher Sekretär seines berühmten Bruders, jahrelang als erfolgreicher „Makler“ für Geschäfte betätigt, bei denen eine Intervention offizieller Stellen gewünscht war. Der Staatsanwalt hat vor kurzem die Einstellung des Verfahrens gefordert (sic!), doch nun wird trotzdem gegen den Bruder und weitere Komplizen ermittelt.
Neben dem Bericht über den „Fall Guerra“ findet sich noch eine Kurzmeldung über die Flucht von zwei Gefangenen aus dem Gefängnis in Burgos. Im vergangenen Jahr sind hier sechs Gefangene entwichen, der Staatsanwalt verdächtigt Beamte als Fluchthelfer. Seite 2 des Madrider Lokalteils beschäftigt sich mit dem geplanten Bau einer Schnellstraße durch ein Naturschutzgebiet. Die Umweltorganisation AEDENAT vermutet hinter der Planung die Absicht, das abgeschnittene Landstück des Naturschutzgebiets zu Bauland zu erklären und darauf 20.000 Wohnungen zu stellen. Verantwortlich: die rechte Stadtverwaltung.
Selbst die im hinteren Teil der Zeitung versteckte „Wirtschaft und Arbeit“ entkommt dem Thema Korruption nicht, Aufmacher: „Die Anklageschrift wegen der Mehrwertsteuerhinterziehung umfaßt 648 Firmen“. Es geht um Mehrwertsteuerbetrug in Millionenhöhe durch Ankauf falscher Rechnungen; aufgekommen ist das im Zuge des erwähnten Skandals um die staatliche Eisenbahngesellschaft.
Die Korruption sei heute in Spanien schlimmer als unter Franco, behauptet der Vorsitzende der rechten „Volkspartei“, José Maria Aznar. Freilich hätte gerade er Grund zu schweigen, denn auch gegen Mitglieder seiner Partei laufen zur Zeit Prozesse wegen Bestechung und Veruntreuung öffentlicher Gelder. Tatsächlich aber scheinen die persönliche Bereicherung auf Kosten der öffentlichen Hand und der „Chanchullo“ — Machenschaften zwischen Bekannten und Verwandten zwecks Erringung materieller Vorteile — immer mehr zur Basis des politischen Geschäfts zu werden. Die Tageszeitung 'El Mundo‘ publizierte vergangenen Sonntag eine Sonderbeilage: „Schnelles Geld — Wörterbuch der Korruption in Spanien“. Die Frage ist allerdings, ob die Korruption in Spanien wirklich größer ist als in anderen Ländern — oder ob sie nur mehr auffällt.
Die starke Orientierung der Politik an Personen und die personelle Verflechtung der Machtträger offenbaren die Parallelität der Geschäftsverfilzungen deutlicher als in den Nachbarstaaten, wo sich die Bevorzugung von Unternehmen hinter scheinbar neutralen Mechanismen versteckt. Illegale Parteienfinanzierung zum Beispiel ist in allen Ländern Usus, doch in Spanien hat man sich noch nicht an das Gemauschel der Demokratie gewöhnt: Bestechung ist hier nicht nur sichtbarer, sie stößt auch auf größere moralische Empörung — schließlich kamen die Sozialisten vor zehn Jahren mit dem Anspruch der Moralität an die Macht. Während man sich woanders an Zynismus und Unmoral gewöhnt hat, wird hier die Moral noch eingeklagt. Doch auch das läßt nach — wo möglich, wird der Skandal unter den Teppich gekehrt (siehe den Versuch im Fall Guerra). Wo nicht, werden Sündenböcke präsentiert (etwa der erwähnte Vorsitzende der Eisenbahngesellschaft). Und bald, da darf man zuversichtlich sein, werden auch hier die unauffälligen Mechanismen eingeführt, die im „weiter entwickelten“ Europa so vorzüglich funktionieren.
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