: Zwischen Ziege und Elektrizität
Erste freie Präsidentschaftswahlen in Mauretanien seit der Unabhängigkeit/ Präsident Taya sucht eine Vorreiterrolle im Maghreb ■ Von Dominic Johnson
Berlin (taz) — „Wir müssen uns zwischen der Ziege und der Elektrizität entscheiden“: Der Spruch des mauretanischen Staatspräsidenten Maaouya Ould Taya entstammt zwar einer Zeit, als von freien Wahlen in dem dünnbesiedelten afrikanischen Wüstenstaat noch keine Rede war — aber das Selbstverständnis des Militärherrschers charakterisiert er auch heute, da zum ersten Mal in der Geschichte des Landes freie Präsidentschaftswahlen stattfinden.
Die „Elektrizität“ ist dabei natürlich Taya selbst, der jüngste aus einer Reihe von Offizieren, die seit 1978 Mauretanien regieren. Mit Anleihen aus der nasseristischen Nostalgiekiste, dem Fortschrittsglauben der arabischen Baath-Partei und kaltem Machtkalkül hat es der seit Dezember 1984 regierende Präsident geschafft, sich zum Progressisten unter den Potentaten der fünf Maghreb- Staaten zu stilisieren. Während Marokko und Libyen unter der Alleinherrschaft König Hassans und Oberst Gaddafis auf der Stelle treten, Tunesien unter Ben Ali die politische Öffnung aus Angst vor den Islamisten immer noch scheut und nun auch Algerien aus demselben Grund unter die Fuchtel der Militärs geraten ist, macht ausgerechnet der arme Vetter Mauretanien das Rennen in Sachen Demokratisierung.
Die heutigen Wahlen, auf die bis April freie Parlamentswahlen folgen sollen, sollen den selbsternannten Modernisierer Taya aber nicht ernsthaft gefährden. „Weit vom internationalen Widerhall der Improvisation, der Flucht nach vorn und des Abenteurertums, welches Instabilität und Anarchie hervorbringt“, so der Präsident, soll vielmehr unter militärischer Aufsicht ein straffes, westlich orientiertes Staatswesen hervorgebracht werden, in dem politische Freiheit der wirtschaftlichen Entwicklung untergeordnet bleibt. Anders als in Algerien wurden die Islamisten hier gar nicht erst legalisiert. Um ganz sicher zu gehen, beansprucht Tayas „Demokratische und Soziale Republikanische Partei“ (PRDS) bereits die Hälfte der 800.000 Wahlberechtigten als Parteimitglieder.
Und ist Taya die „Elektrizität“, so fällt die Rolle der „Ziege“ seinem prominentesten Gegenkandidaten zu: Ahmed Ould Daddah von der „Union der Demokratischen Kräfte“ (UFD), Bruder des ersten Präsidenten des unabhängigen Mauretanien. Nach Kräften versucht die Staatsmacht, ihn als Mann von gestern darzustellen. Doch die Demokraten geben sich selbstbewußt: „Mauretanien sucht den Wandel“, sagt Ould Daddah. „Ich werde den Oberst ohne größere Schwierigkeiten schlagen.“ Oberst Tayas Antwort: „Den Wandel mache ich. Ich werde gewinnen.“
Wer auch immer Mauretanien in Zukunft regiert — seine wichtigste Aufgabe wird es sein, die politische Kultur eines Landes wiederherzustellen, das sich historisch als al wasit — Vermittler — zwischen dem arabischen Maghreb und dem schwarzen Westafrika versteht. Die traditionelle Unterdrückung der Schwarzafrikaner Mauretaniens, die 1989 in der Ausweisung Hunderttausender Bauern nach Senegal gipfelte, ist nach Meinung der Opposition das Haupthindernis für eine wahre Demokratisierung — was auch Daddah als Motiv für seine Kandidatur angibt. „Eine Mauer des Schweigens“, so der in Paris lebende Rechtsanwalt Nabil Buaita, sei beispielsweise um das Schicksal Hunderter schwarzer Armeeangehöriger errichtet worden, die nach einem angeblichen Putschversuch im November 1990 in der Haft ums Leben kamen.
„Das Subversions-Syndrom scheint das politische Leben Mauretaniens noch immer zu vergiften“, schreibt der Anwalt. „Durch eine unglückliche Vertiefung des Chauvinismus werden die demokratischen Öffnungsbemühungen kompromittiert.“ Bleibt zu sehen, ob das Thema der Rassendiskriminierung, bisher von den Freunden in Bonn und Paris diskret unter den Teppich gekehrt, nach den Wahlen doch auf der politischen Tagesordnung erscheint.
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