: Universitärer Tiefschlaf statt Rassismusforschung
■ Der Historiker Wolfgang Wippermann (Freie Universität) fordert Rassismusforschung an den deutschen Universitäten, sonst verlören sie den Anschluß/ Die »Rassismusforschung ist eine Herausforderung für den traditionellen Wissenschaftsbetrieb, weil sie nicht nur theoretisch sein kann«
taz: Angesichts der zunehmenden Ausländerfeindlichkeit sind auch die Hochschulen als gesellschaftliche Institutionen herausgefordert. Spielen sie in dem Zusammenhang überhaupt eine Rolle?
Wolfgang Wippermann: Ich würde nicht Ausländerfeindlichkeit sagen, sondern Rassismus. Fremde und Ausländer werden meistens nicht angegriffen, wenn sie weiß sind. Andererseits sind auch Eingebürgerte betroffen. Der sogenannte Türke ist oft deutscher Staatsbürger. Rassismus ist hier besser, präziser.
Die Universität spielt überhaupt keine Rolle. Die deutsche Geschichtswissenschaft beschäftigt sich überhaupt nicht mit Rassismusforschung.
Das hat sowohl politische als auch finanzielle Gründe. Man muß nur an die Opfer des nationalsozialistischen Rassismus denken, die bis heute nur zum Teil entschädigt wurden. Der zweite Grund ist ein theoretisch-methodologischer, daß der Rassismus in der deutschen Geschichte nach wie vor enthalten ist, nur leicht getarnt. Es gibt zwei Schulen in der Geschichtswissenschaft, der Historismus und die Sozialgeschichte. Der Historismus geht vom Primat der Außenpolitik, von der Staatengeschichte, den großen Männern aus. Es ist immer nur ein kleiner Schritt gewesen von den großen Männern, die Geschichte machen, zu den Übermenschen, die Kriege führen dürfen, und von der Staatengeschichte zur These des »survival of the fitest«, daß die starken Staaten überleben und sie somit auch ein Überlebensrecht haben. Die Sozialgeschichte gilt als methodisch progessiv und ist es auch. Sie war in den siebziger Jahren sozialliberal orientiert.
Sie ist aber von der Geschichte her noch belasteter, d.h. die deutschen Historiker, die die Sozialgeschichte in Deutschland nach 1945 begründet haben, haben vorher Volksgeschichte gemacht und diese nur in Sozialgeschichte umgetauft. Methodisch und auch politisch waren das hervorragende Leute, spielten jedoch im Bereich der Rassenpolitik des Dritten Reiches eine besondere Rolle.
Welche Ansätze für Rassismusforschung sehen Sie, und was bedeuten sie für den Wissenschaftsbetrieb?
Abgesehen von einem methodischen Umdenken und einer besseren Verteilung der Forschungsmittel in dem Bereich gibt es überhaupt keine Ansätze. Rassismusforschung ist eine Herausforderung für den traditionellen Wissenschaftsbetrieb, weil sie nicht nur theoretisch sein kann. Rassismusforschung im Hinblick auf die Zeit des Faschismus kann sich nicht abstrakt auf die Juden, die Sinti und Roma, die Erbkranken beziehen, sondern sie muß mit den Betroffenen sein. Rassismusforschung wäre in diesem Sinne eine Art Bürgerrechtsarbeit.
Das widerspricht nun allen Regeln und Prinzipien der scheinbar nur objektiven Wissenschaftlichkeit, da hier angewandte Forschung betrieben wird. Man muß sich überlegen, was man erforscht und für wen, ob nur für die Bücher und die Nachwelt oder auch Dinge, die den Überlebenden nützen.
Was heißt das, methodisch?
Rassismus ist meiner Ansicht nach in erster Linie ein ideologisches, ein Bewußtseinsproblem. Ich würde von einer historischen Perspektive herangehen, wobei die ideengeschichtliche, ideologiegeschichtliche Perspektive analysiert wird, die auch auf der Ebene der Vorurteilsforschung und der Mentalitätsgeschichte betrieben werden muß. Auch wäre der Praxisbezug wichtig, daß man zum Beispiel Sinti und Roma fragt: Welche Gutachten braucht ihr, welche Schwierigkeiten habt ihr mit Behörden?
Das wäre eine Auftragsforschung. Das zweite ist, daß man dabei im Sinne der Rassismusdiskussion generell keine Objektforschung betreibt, sondern ihnen einen Subjektstatus gibt und mit ihnen kooperiert. Diese Dinge laufen einem Wissenschaftler zuwider.
Sind denn Bürgerrechtsarbeit und angewandte Forschung zukünftige Bereiche in der Wissenschaft?
Ja, aber das ist natürlich sehr idealistisch und würde einen Umdenkungsprozeß der Universität beinhalten. Das sehe ich sehr pessimistisch. Optimistisch bin ich jedoch, was die internationalen Bereiche angeht. Im Ausland gibt es Rassismusforschung, und wir sind dabei, den Anschluß an die internationale Forschung zu verlieren, wenn wir sie nicht auch intensivieren. Sonst werden wir bald nur noch Übersetzungen lesen, amerikanische, englische oder französische, die natürlich einen anderen Kontext haben. Wir müssen erst mühselig eine Forschungsrichtung rezipieren, obwohl wir die Möglichkeit haben, sie von Anfang an weiter auszubauen.
Arbeitet die Forschung im Ausland Ihren Postulaten entsprechend?
Zum Teil, das gilt in erster Linie für Amerika, wo aber die Situation eine andere ist. Dort werden die Ursprünge aus der Bürgerrechtsarbeit nicht geleugnet. Dabei betreiben sie auch Identitätsforschung, beispielsweise »Asien Studies« oder »Jewish Studies«. Diese Forschungen können sich sehen lassen. Das Problem ist allerdings, daß sie nicht so ohne weiteres übertragbar sind.
Der europäische Rassismus ist jüngeren Anlasses gewesen, und der deutsche erst recht. Wir halten eben den Rekord, daß wir einen Rassenstaat im Dritten Reich hatten, in dem wir Rassismus bis zum Exzeß durchführten. Nicht nur als Ideologie, sondern auch als Wissenschaft.
Sehen Sie hier an der Uni schon irgendwelche Ansätze von studentischen Initiativen?
Im Augenblick herrscht hier ein tiefer Schlaf, und man wundert sich, daß die Freie Universität noch existiert. Sie wird ihren eigenen Untergang verschlafen. Schlimmer kann es nicht kommen, was das Engagement auch der Studierenden betrifft. Das Aufflackern des Interesses während des Streiks habe ich wahrscheinlich überschätzt.
Ich setze meine einzigen Hoffnungen auf das Ausland, in die internationale Forschung. Hinzu kommt noch als Hinderungsgrund, daß alles wie das Kaninchen auf die Schlange, auf die DDR, starrt und meint, daß das nun das wichtigste in der ganzen Weltgeschichte gewesen sei. Interview: Corinna Raupach,
Susanne Landwehr
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