: Verbrannt, weil sie eine »Hexe« war
■ 21jähriger Palästinenser, der seine Tante anzündete, wegen Totschlags vor Gericht/ Angeklagter behauptet, das Opfer habe ihn sexuell mißbraucht/ Lebensweg begleitet von Todesfällen
Berlin. Die Tötung der 50jährigen gebürtigen Palästinenserin Fatimah M. kam einer Hinrichtung gleich: Vor den Augen zahlreicher Passanten wurde die Mutter von zehn Kindern am 14. Mai 1991 in Schöneberg auf offener Straße mit elf Messerstichen niedergemetzelt, mit Benzin übergossen und angezündet. Als die Flammen über ihren Körper züngelten, lebte Fatimah M. noch. Ob sie zu dieser Zeit noch bei Bewußtsein war oder aufgrund des großen Blutverlustes schon die Besinnung verloren hatte, vermochte der gerichtsmedizinische Gutachter nicht definitiv zu sagen.
Seit gestern muß sich der 21jährige Bassam M. wegen Totschlags seiner Tante Fatimah M. vor der 9. Strafkammer des Landgerichts verantworten. Der Palästinenser mit deutscher Staatsbürgerschaft begründete die Tat damit, seine Tante habe ihn 1984 im Alter von knapp 14 Jahren sexuell mißbraucht. Als zweiten Grund führte der Angeklagte an, daß er von seiner Tante im September 1990 fälschlicherweise der versuchten Vergewaltigung bezichtigt worden sei. Als er im Mai 1991 die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft bekommen habe, so Bassam M., habe er sich entschlossen, die Tante zu töten. »Ich habe die Frau schon immer gehaßt, seit sie mich sexuell mißbraucht hat. Außerdem hatte ich Angst, daß ihr das Gericht auch noch Recht gibt, ich hätte versucht sie zu vergewaltigen.« Auf den Gedanken, Fatimah M. zu verbrennen, sei er gekommen, als er ihr in der Nähe ihres Wohnhauses an der Bülow-/Ecke Alvenslebenstraße in seinem Auto aufgelauert habe. »Während des Wartens kam mir die Idee, sie zu verbrennen, weil sie für mich eine Hexe war.« Auf Nachfrage der beisitzenden Richterin, was eine Hexe sei, antwortete Bassam M.: »Was ich mit meiner Tante erlebt habe, war nur schlecht. Sie hatte rote Haare, war sehr klein, unattraktiv und war sehr böse.« Auch auf Nachfrage der Richterin, ob er sich diese Erklärung nicht erst im nachhinein ausgedacht habe, hielt der Angeklagte daran fest: »Ich habe sie mit Benzin angezündet und verbrannt, weil man das mit Hexen früher so gemacht hat.«
Die Rechtsanwälte Balzer und Schmidt, die Fatimah M.s Ehemann und Kinder als Nebenkläger vertraten, zweifelten grundsätzlich an der Aussage des Angeklagten. Ihre Fragen suggerierten, daß er sich die sexuelle Mißhandlung durch die Tante nur ausgedacht habe. Warum sonst, fragten die Anwälte, habe er sich nicht dagegen gewehrt, als seine Tante ihn im Alter von 14 Jahren im Badezimmer gegen seinen Willen abgeseift und dabei unsittlich berührt habe. Mit der Erklärung: »Sie hat mich überrumpelt, ich war wie gelähmt«, mochten sich die Anwälte nicht zufriedengeben. Auch die Behauptung, er habe Fatimah M. nicht versucht zu vergewaltigen, sondern sie lediglich bei einem Besuch aus seiner Wohnung geworfen, weil sie mit Heroin gehandelt habe, nahmen die Nebenklagevertreter Bassam M. nicht ab. Fatimah M. war 1989 wegen Besitzes von Heroin zu zwei Jahren Bewährung verurteilt worden.
Die 25jährige Tochter von Fatimah M. erklärte, sie sei überzeugt davon, daß ihre Mutter aus »Haß« sterben mußte. Die Familie von Bassam M. und ihre eigene Familie, so die Tochter, seien 1970 aus dem Libanon nach Berlin gekommen und hätten sich dann total zerstritten. Bassam M.s Vater habe sich ständig von ihrer Familie Geld geliehen, seine Schulden aber nicht zurückgezahlt. Möglicherweise habe Bassam M. ihre Mutter getötet, weil er in seiner eigenen Familie statt Harmonie nur großes Unglück erlebt habe.
Tatsächlich ist der Lebensweg des Angeklagten von vielen Tragödien gezeichnet. Seine Mutter kam 1976 im Palästinenserlager »Tal Saatar« bei einem Bombenangriff ums Leben. Danach holte der zu dieser Zeit bereits in Deutschland weilende Vater Bassam M. und dessen Geschwister zu sich nach Berlin. 1984 wurde der Vater bei einem Raubüberfall in seiner Kneipe im Wedding ermordet. Die Großmutter, die für die Kinder in der Waldemarstraße in Kreuzberg sorgte, starb 1990.
Der Prozeß wird Donnerstag fortgesetzt. Zu klären ist auch die Frage, warum keiner der Passanten bei der Tat eingeschritten ist. plu
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen