Pickel im Gesicht

■ »Rabenschwarz« von Reineke Fuchs, UFA-Fabrik

Kalte Schauer rieseln gnadenlos den Rücken herunter, an Armen und Beinen zeigt sich Gänsehaut. Zwischen Lachen und Grauen hin- und hergerissen, weist kein pädagogischer Zeigefinger den Weg durch die unwegsamen Klippen schwarzen Humors. Ein moralisches Vakuum tut sich dem Zuschauer auf. Mit sarkastischer Lust agieren die Musiker von Reineke Fuchs ihre sadistische Ader aus und konfrontieren den Zuschauer mit der unangenehmen Erkenntnis: wir sind alle heimliche Sadisten.

Diese Läuterung geschieht auf recht unterhaltsame Weise: Getreu ihrer bald zehnjährigen Tradition holt Reineke Fuchs Literatur auf die Bühne und macht sie mit heißen Rhythmen und selbstkomponierten Melodien sinnlich erfaßbar. Texte von Artmann, Benn, Brecht, Kästner, Mühsam, Ringelnatz u.a. sind zu einer szenischen Collage gefügt, auf einen roten Faden wird verzichtet, thematischen Zusammenhang gibt einzig die Lust am Grausen.

Die Rolling Stones auf den Lippen, wird zu Beginn die Bühne gestürmt. Mit dem Ansinnen, eine rote Tür schwarz zu bepinseln, fällt deren Beitrag zum Varieté der Monstrositäten noch harmlos aus. Die dunkelbraune Ratte, die des Nachts am Rückenmark nagt, ist da schon ein anderes Kaliber, und wenn Drakulinchen mit schriller Stimme ihre Küchenkräuter aufzählt — »Mescalin und Morphium wächst in meinem Garten« —, ahnt man, daß die anvisierte Eheschließung mit einigen Überraschungen aufwarten kann.

Ein Knabe verstaut die eigenhändig ermordeten Eltern im Wäscheschrank. Ein frohgemuter Wandersmann in den Alpen fällt erst in einen Schlitz, gleich drauf in einen Schacht, bloß um hernach in ein Loch und in der Folge in viele andere Arten der Vertiefung zu stürzen, ohne jemals die gute Laune zu verlieren. Vielleicht liegt's an der Rapmusik, mit der diese Almtragödie vorgetragen und -getanzt wird.

Frau Schlächtermeister sickert übers Sofa — unten am Arm aus einem Ballen Fett arbeitet sich der Daumen vor, fummelt der Freund in der Hosentasche — vielleicht ein ausgetretener Bruch. Grüne Zähne und Pickel im Gesicht winken einer Lidrandentzündung, während Fett im Haar zu offenem Mund mit Rachenmandel spricht. Mit dichterischer Schützenhilfe von Gottfried Benn entlarvt die Szenerie eines Nachtcafés jene schlecht kaschierte Monstrosität bürgerlichen Lebens.

Mit französischem Akzent eröffnet die süffisant lächelnde Ansagerin ein erotisches Varieté. Einem akrobatischen Männerstrip am Barhocker, der sich allerdings nur bis zum ledernen Unterhöschen vorwagt, gibt sie mit einem Text von Lichtenstein die rocklastige Untermalung.

Menschenfresser beim Verspeisen gespickter Kinderschenkel, ein beim Spielen erhängter Knabe, Hotelgäste, die bei einem ausschweifenden Fest von einer Lawine begraben werden, ein ausgebuddelter Soldat — der Tod geleitet hämisch grinsend, aber treu durchs Programm.

Ein Höhepunkt ist die wundersame Geschichte vom Filet Stroganoff, benannt nach einem eifersüchtigen Gatten, der den Liebhaber seiner Frau bratpfannengerecht zubereitet. Eine echt russische Geschichte mit russischer Musik, Kosakentanzeinlage und viel viel russischem Gefühl, die nicht nur russische Lachmuskeln strapaziert. Außerdem die Szene einer erlauchten Abendgesellschaft, bei der sich auch die Mitglieder der Band schauspielerisch erproben: man reicht sich die Hand, gerät darüber in ein Handgemenge, zum Schluß liegt diese Hand abgeschlagen am Boden und wird von einem rabenschwarzen Rassehund von der Bühne geholt.

Chris Dehler zeigt mimische und tänzerische Glanzleistungen. Gemeinsam mit Silvia Christoph bestreitet er den schauspielerischen Part dieser Inszenierung. Letztere besticht mit Stimmgewalt und -vielfalt. Die Musiker sind allesamt Meister an ihrem Instrument. Die Stücke, zum großen Teil von Lüül komponiert, bieten über Funk, Rap, Reggae u.a. eine breite Palette des Rock. Und ein stimmiges Tempo macht diese Groteske des schwarzen Humors zu einem unterhaltsamen Abend. Jantje Hannover

Rocktheater Reineke Fuchs zeigt Rabenschwarz, am Wochenende um 21 Uhr, UFA-Fabrik, Viktoriastraße 13, Tempelhof