: „Der Schoß der Maria ist mir egal“
■ Kirchenkritiker Eugen Drewermann sorgte für ein proppenvolles Gotteshaus
„Geistig ist die katholische Kirche auf dem Stand des 16. Jahrhunderts stehengeblieben.“ „Ich bin es leid, die Fragen von 1830 mit den Antworten von 1930 zu lösen.“ „Ich bin geistig auf der Höhe einer Zeit, die weit vor meiner Geburt liegt.“ „Daß ich noch nicht verbrannt worden bin, verdanke ich allein der Tatsache, daß die Kirche ihren Machtanspruch gegenüber dem absoluten Staat verloren hat.“
Alle halten den Atem an. Nur kein Wort versäumen, keine Silbe, die da aus dem Mund von Eugen Drewermann (51) kommt. Deutschlands prominentester Kirchenkritiker war in Bremen. Die Rembertikirche platzte am Montag Abend aus allen Nähten. 500 Plätze sollten es sein, die Menschen quollen aber über Kanzel und Fensterbänke, um den Altar, auf dem Fußboden weiter. Draußen lauerten tausend, vielleicht mehr, die noch hinein wollten und nicht konnten.
Erbarmungslos reißt Drewermann der Kirche den Scheinheiligen-Schein herunter. Seit der Reformation habe der Apparat alles darangesetzt, die bürgerliche Ordnung als gottgewollt darzustellen. Die Gläubigen seien bedingungslos unterworfen worden, psychoanalytisch gesprochen: Die Kirche habe dafür gesorgt, „daß sich das Ich an die äußeren Bedingungen anpaßt.“
„Wir reden eine ganze Generation von Menschen aus der Kirche heraus“, konstatierte Drewermann. Beispielhaft dafür erscheint ihm der Umgang mit der Bibel. Seine These: „Wir müssen die Negativität des historischen Befundes in der Bibel positiv drehen.“ Was heißt das?
Die Bibel ist voller Märchen, und das ist gut so! Symbole, Mythen und Bilder sind nicht wörtlich zu nehmen. „Es gibt immer eine Entwicklung von der Geschichte zu einem Symbol, aber es führt keine Linie zurück“, erläuterte Drewermann den zentralen Punkt seiner Bibelarbeit. „Nehmen Sie die Geschichten so, daß Sie sie mit in ihr eigenes Leben nehmen“. Z.B. die Jungfrau Maria. „Der Schoß der Maria ist kein Problem, er ist mir egal.“ Die Jungfräulichkeit der Mutter sei keine Aussage über den biologische Zustand der Maria, sondern ein tiefenpsychologisch zu deutender Vorgang über „die zweite Geburt eines Menschen Jesus.“ „Man braucht doch die Sprache der Dichter, um über sich selbst etwas zu erfahren.“
Tiefenpsychologie und Bibel, Jesus und Freud, das sei die Kombination, die die Kirche aus der „Krise der Religiosität“ retten könne. „Aber meine Kirche hat in den letzten 450 Jahren alle geistigen Entwicklungen verschlafen.“ Modernisierung, Reformation, Aufklärung, Humanismus: Die katholische Kirche grabe sich geistig ein, in der Hoffnung, die übrigen Weltreligionen institutionell zu überleben.
„Die beste Kirche wäre die, die den Menschen erlaubt, sie selbst zu sein“, forderte Drewermann. Stattdessen zwinge die Kirche ihre Gläubigen, „die Welt mit geliehenen Augen zu sehen“. Dazu bilde sie ein hochspezialisiertes Heer von Exegeten aus, die „sechs Jahre lang an der Uni drei tote Sprachen lernen und dann behaupten, Experten zu sein.“ Dagegen solle jeder Mensch selbst seine Gotteserfahrung erleben, persönlich, individuell, seine eigene „Privatheit und Worte der Bilder“ erleben.
Eine Kirche, die sich auf Jesus berufe, sammle bedingungs- und vorbehaltlos Menschen unter ihrem Dach. „Jesus wollte diese radikale Perspektive für die, die weinen“, erläuterte Drewermann. „Jesus hat die bürgerliche Ordnung auf den Kopf gestellt, die Kirche in ihrer jetzigen Form legitimiert sie“. Als Drewermann gegen 22.30 Uhr endete, war die Kirche immer noch knallvoll. Kaum jemand war vorzeitig nach Hause gegangen. mad
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