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Halbmond und Stern brachten keine Rettung

■ Das »Berliner Stahlwerk«, vor drei Jahren von türkischen Investoren gekauft, steht kurz vor dem Konkurs/ Den meisten Beschäftigten droht wegen Überalterung Dauerarbeitslosigkeit/ Konkursmasse wird kaum für Sozialplan ausreichen

Nach dem Gespräch mit zwei türkischen Wirtschaftsfachleuten setzen wir unsere Reihe über das türkische Wirtschaftsleben in Berlin heute mit einem Beitrag über das Berliner Stahlwerk fort. Weitere Momentaufnahmen folgen.

Tegel. Im Frühstücksraum ist die Stimmung gereizt. An dem einzigen Tisch sitzen sechs Arbeiter. »Wenn du Geld mitbringst, kannste bleiben«, ruft Karl-Heinz Grabowsky dem Reporter zu, als dieser zur Tür hineinkommt. Wie alle 130 Beschäftigten im »Berliner Stahlwerk« haben sie seit über einen Monat keinen Pfennig Geld gesehen. Am 27. Januar waren Mitarbeiter der Bewag erschienen und hatten den Hauptschalter umgelegt, weil der Betrieb die Stromrechnungen nicht mehr zahlen konnte.

Seitdem kommen die Arbeiter nur noch, um zu fegen und das Werksgelände zu bewachen. Zwei Schweißgeräte im Wert von jeweils 6.000 Mark wurden vor kurzem schon gestohlen. Der 60jährige Grabowsky, der von Beruf Gießer ist, wird plötzlich laut, hebt drohend den Zeigefinger und meint: »Die Politiker geben Milliarden für die Asylanten aus, aber unsere kleene Bude, die muß dichtmachen wegen der hohen Strompreise, das ist ein Verbrechen am deutschen Volk.«

Von dem guten Verhältnis zwischen Türken und Deutschen, das der Betriebsrat Joachim Schulz kurze Zeit später loben wird, ist an diesem Tag wenig zu spüren. Die türkischen Arbeiter, die rund sechzig Prozent der Belegschaft ausmachen, setzen sich meist abseits, jeder bleibt für sich. Gemeinsam haben sie nur eins: die Sorge, wie es weitergeht. Mesut Kaya, seit drei Jahren Schmelzer im Betrieb, blickt resigniert zu Boden: »Wir kleinen Leute interessieren die Herren doch nicht mehr, die haben ihre Taschen doch schon voll.

Eine Tür weiter sitzen der Betriebsratsvorsitzende Anton Haberstock und sein Kollege Joachim Schulz in einem karg eingerichteten Raum und schimpfen auf die neuen Sozialgesetze ihres IG-Metall-Kollegen Norbert Blüm. Demnach gibt es erst Anspruch auf das Konkursausfallsgeld vom Arbeitsamt, wenn der Sequester, der zur Zeit die verbliebenen Vermögenswerte durchforstet, den Konkurs beim Gericht eröffnet hat. Das wird allgemein für den 31. März erwartet. Die ersten Zahlungen kämen frühestens im Sommer — nachträglich für die Monate Januar bis März. Bis dahin gibt es kein Geld — es sei denn, ein Interessent fände sich, um den Betrieb weiterzuführen.

Doch was 1988 schon einmal den Betrieb rettete, scheint mehr denn je ausgeschlossen. Damals hatte das türkische Staatsunternehmen Metek Metal Teknoloji mehrheitlich das kurz zuvor in Konkurs geratene Berliner Stahlwerk/Walzwerk Becker übernommen. Zur Einweihungsfeier waren sogar der türkische Wirtschaftsminister und der Minister für Stahl und Kohle angereist. Die Übernahme sorgte für Schlagzeilen — schließlich war es die bis dahin größte türkische Investition in Berlin. Doch aus den großen Versprechungen, die Zahl der Arbeitsplätze auf insgesamt 200 aufzustocken, Elektriker und Schlosser auszubilden und Qualitätsstahl zu produzieren, wurde nichts. Statt dessen geriet das Werk, das im Jahr rund 130.000 Tonnen Schrott zu Stahlbrammen verarbeitete und weiterverkaufte, immer mehr in die Krise.

Der Prokurist Hans-Peter Poeste, der im Auftrag des Sequesters derzeit die Geschäfte führt, hat gleich ein Bündel von Gründen parat: ein starker Preisverfall im Stahlbereich im November 1990, der Wegfall der Umsatzsteuer- und Abnehmerpräferenzen für Berliner Betriebe und die Erhöhung der Frachtkosten um dreißig Prozent im vergangenen Jahr. Die Talfahrt des Unternehmens, das bis 1981 zu den Borsig-Werken gehört hatte, zeigte sich schließlich auf den Kontoauszügen der Arbeitnehmer. Seit dem Sommer 1990, so erzählt Betriebsrat Schulz, seien die Löhne und Gehälter immer unregelmäßiger und mit Verspätung ausgezahlt worden. Daß der Kollaps dicht vor der Tür stand, wurde spätestens im November vergangenen Jahres deutlich. Der deutsche Geschäftsführer Dr. Jens-Uwe Fischer reichte vor dem Amtsgericht Charlottenburg seinen Rücktritt ein. Davon erfuhr der Betriebsrat allerdings erst Anfang Dezember.

Für Schulz ist Fischer seitdem ein rotes Tuch: »Der hat vorher ständig groß rumgetönt, daß wir alle in einem gemeinsamen Boot sitzen, und sich als erster davongemacht.« Der erste Geschäftsführer, der türkische Geschäftsmann Sencer Imer, selbst mit einem Anteil am Werk beteiligt und bis vor kurzem Berater der staatlichen türkischen Stahlindustrie, ließ sich ebenfalls nicht in Berlin blicken. Statt dessen erreichte den Betriebsrat Ende Januar ein handgeschriebener Brief aus Ankara, in dem Imer bedauernd mitteilte, daß es die Umstände waren, »die es uns unmöglich machten, eine positive Lösung zu finden«. Die türkischen Anteilseigner könnten, so Imer in dem Schreiben weiter, ihre Kapitalanlagen nicht erhöhen.

Uwe Hecht, IG-Metall-Sekretär für Reinickendorf und Wedding, attestiert den türkischen Unternehmern zwar »einen guten Willen«. Zugleich hätten sie aber nur das Notwendigste getan, um den Standort zu erhalten. So wurde nicht ausreichend für Lärmschutz oder Entstaubung gesorgt, wohl auch, weil die Kapitaldecke von Anfang an sehr dünn war. Betriebsrat Schulz glaubt denn auch, »daß die Bevölkerung und der Senat drei Kreuze machen werden, wenn die Dreckschleuder nicht mehr weiterläuft«.

Das Werk, das auf einem Senatsgrundstück liegt, wird bis heute nur geduldet. Ein Mietvertrag existiert nicht, womit die Weiterführung kaum sicherer wird. Hinzu kommt, daß mit dem Fall der Mauer der Standort in Tegel relativ bedeutungslos wurde. Berliner Schrott kann jetzt auch im fünf Kilometer entfernten Hennigsdorf verarbeitet werden. Sollte das Berliner Stahlwerk schließen, droht den meisten Beschäftigten die Dauerarbeitslosigkeit.

»Das tragische ist, daß es überwiegend ungelernte Leute mit langer Betriebszugehörigkeit und sehr hohem Alter sind«, erklärt Hecht. Ob für sie aus der Konkursmasse ein Sozialplan finanziert werden kann, ist ungewiß. Noch hat der Sequester, Rechtsanwalt Konrad Gollmer, nicht alle Rechnungen gemacht. Betriebsrat Schulz ist jedoch pessimistisch. Selbst wenn ein Drittel des erzielten Geldes durch den Verkauf von Anlagen für die Beschäftigten verwendet würde, käme nur eine Million Mark dabei zusammen. »Was wird das für ein Sozialplan sein? Da können wir mal gerade eine Jahresarbeitslosenkarte der BVG für jeden finanzieren.«Severin Weiland

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