Schilderwälder, bürokratisch

■ Leonards Laganovskis in der IfA-Galerie in Mitte

Auf den ersten Blick glaubt man sich den Relikten der sozialistischen Vergangenheit gegenüber. Gleich vis-à-vis dem Eingang der IfA-Galerie trifft der Besucher auf eine Schilderwand, die aussieht, als wäre sie geradewegs von der Fassade eines VEB abgeschraubt worden. Es handelt sich allerdings um Kunst. Die des Letten Leonards Laganovskis.

Verweilt man etwas länger vor dieser öffentlichen Registratur der sozialistischen Bürokratie, stellen sich die ersten Irritationen ein. Zwischen Schildern mit den Namen der einzelnen Abteilungen der — offenbar fiktiven — Firma findet man plötzlich eine Reihe von weiblichen Vornamen. Allein diese Namen bedeuten mehr als eine bloße Funktion. Hier schleicht sich das vergessene Menschliche ein. Denn darin unterscheidet sich mein (Eigen-)Name vom Begriff: er ist ein Teil von mir. Aus dieser scheinbaren minimalen sprachlichen Distanz zwischen dem Namen und den Posten und Titeln im Apparat schlägt der 1955 in Riga geborene und derzeit als Stipendiat des Künstlerhauses Bethanien in Berlin weilende Leonards Laganovskis großen Effekt.

Die Kaschierung des Menschlichen hinter der dürftigen Ästhetik einer ablösbaren Oberfläche, an einem Schild exemplarisch vorgeführt, das ist das eine große Thema Laganovskis, das die Ausstellung dokumentiert. Aus denselben Quellen speiste sich auch jener profane Bilderkult der kommunistischen Regime. Als Bühnenbildner in der ehemals Lettischen SSR (in dieser Eigenschaft war er auch verantwortlich für die Ausführung von Regierungsaufträgen betreffs Wandgemälden, Transparenten und Tribünen für politische Feierlichkeiten) konnte er wie kein zweiter hinter die Attrappen blicken.

Die Wurzeln von Laganovskis Sujet — der bürokratische Schilderwald, der auf nichts mehr verweist als auf sich selbst — reichen tief. Der Künstler spielt mit zwei Elementen der östlichen Tradition. Ein Prototyp ist das Potemkinsche Dorf. Die als bloßes Blendwerk dienende Kulisse ist im Kommunismus gleichsam der Ursprung der praktizierten Devise »mehr Schein als Sein« geworden. Wie man jetzt weiß, war das System ohne diese permanente Heuchelei gar nicht möglich. In der Tat bleibt hinter all den falschen Fassaden und sprachlichen Hülsen nichts übrig.

Laganovskis macht das anhand der Uniform klar. Die militärische Uniform führt bei ihm ein Eigenleben. Zu sehen ist auf einer Tafel, wie sie sich in einem den Mendelschen Gesetzen entsprechendem Erbschema fortpflanzt. Hier ist die Uniform der dominierende Faktor und nicht etwa ihr Träger.

Eine andere Traditionslinie bei Laganovskis geht auf den religiösen Bereich zurück. Der Künstler baut in die ikonentragende Bilderwand — die Ikonostase der Ostkirche, die das Volk vom Bereich der Priester abschirmt — Bruchstellen ein. Er erlaubt sich das Tabu, die Wand als reine Oberfläche zu betrachten und nicht als Pforte in das Verbotene. Der Vergleich mit der politischen Kaste liegt auf der Hand. Die scheinbar so geheiligten Titel auf den Schildern — sie verbergen nichts mehr. Nur das Verbot schützt vor der Entdeckung der Leere.

Auf einer anderen Schilderpromenade — sie trägt den Titel Parteikomitee kann man lesen: »Propaganda- Abteilung«, »Kantine«, »Sitzungssaal«, »Organisationsbüro«. Alle Verwaltungsabteilungen drehen sich um einen fehlenden Mittelpunkt. Der Sinn ist dieser Institution abhanden gekommen.

Die schilderhafte Oberfläche repräsentiert hier weder Inhalt noch Gehalt, sie ist der Inhalt. Laganovskis entdeckt ein Leben der reinen Oberfläche überall im Kommunismus. So malt er zum Beispiel Fernsehbilder, die einen auffordern, das Gerät abzustellen. Die Oberflächen lassen sich beliebig ablösen, kein Zusammenhang, keine Dialektik von innen und außen ist zu bemerken.

Ein anderer Fall: Laganovskis stellt Marmorblöcke aus. Sie sehen wie Denkmalsockel aus, denen ihr oben thronender Held abhanden gekommen ist. Nur noch die Messingplakette ist am Sockel geblieben. Bei näherer Betrachtung stellt man wenig erstaunt fest: der Marmor ist nur aufgemalt.

Dann schließlich bemerkt man: der Farbanstrich ist auf echten Stein gemalt. Worauf es ankommt, ist die Oberfläche. Nur wird bei Laganovskis nichts Echtes mehr simuliert, die ästhetische Fiktion selbst wird zum Eigentlichen. Die Objekte bieten an, die Geschichte des real existiert habenden Sozialismus aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Sie zeigen in dekonstruktivistischer Manier, daß die Ästhetik weit in das Politische hineinreicht. Politik erschöpft sich eben nicht in Politik. Ronald Berg

IFA-Galerie (Institut für Auslandsbeziehungen), Friedrichstraße, bis 22. März.