: Straßenblockaden gegen die Unabhängigkeit
■ Das Votum für die Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas von Serbien hat die Spannungen in dem Vielvölkerstaat verschärft. Bewaffnete Serben und Muslimanen haben in der Nacht zum Montag in...
Straßenblockaden gegen die Unabhängigkeit Das Votum für die Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas von Serbien hat die Spannungen in dem Vielvölkerstaat verschärft. Bewaffnete Serben und Muslimanen haben in der Nacht zum Montag in Sarajevo Straßenblockaden errichtet und die Hauptstadt lahmgelegt. Die Serben fordern eine Kanton-Lösung für Bosnien.
Das durchaus bemerkenswerte Hörspiel geht normalerweise im Straßenlärm unter. Um zwölf Uhr Mittags schlägt nämlich im Zentrum Sarajevos zuerst die Glocke der römisch-katholischen Kathedrale, fast eine Minute später ertönt die der serbisch- orthodoxen Kirche, und dann dauert es bißchen, bis der Muezzin vom Minarett der Bascarsija Moschee die Gläubigen zum Gebet ruft. Nur an diesem Montag nach dem Unabhängigkeitsreferendum herrscht Totenstille. Und die Glocken sind wie der Muezzin gut zu hören.
Diese idyllischen Laute verdecken die wirkliche Stimmung, die in der Stadt herrscht. Sarajevo, die Stadt der drei Religionen, die Stadt der vielen Kulturen, liegt an diesem Montag wie ausgestorben da. Wer kann, bleibt zu Hause, geht nicht zur Arbeit, ins Büro oder zur Schule. Es ist zu gefährlich geworden. Im Basarviertel, wo sich sonst Menschenmassen drängen, durcheinanderquirlen, in Gruppen diskutieren, handeln, einkaufen oder einfach herumschlendern ist es gähnend leer. Die türkischen Kaffeestuben und Trödlerbuden bleiben geschlossen, Frischmilch, Brot, Gemüse gibt es nicht. Im Fernsehen sehen die Menschen Bilder von quergestellten Bussen und Lastwagen. Jugendliche mit Kalaschnikows im Anschlag stehen hinter Barrikaden — in Zivilkleidung. Vereinzelt sind Schüsse zu hören. Und mehrmals am Tag zeigt sich Oberbürgermeister Muhamed Krseladovic auf dem Bildschirm: „Bürger bleibt ruhig, geht auf keine Provokationen ein.“ Doch dieser Aufruf wirkt nicht besonders beruhigend. Als in der Nacht zum Montag die ersten Ergebnisse von der Volksabstimmung bekanntgegeben wurden, hallten Freudenschüsse auf. Es waren Muslimanen, die so die angeblich 60prozentige Wahlbeteiligung feierten. Denn, dies war schon vorher klar, wer sich an der Wahl beteiligt, stimmt auch mit Ja. Dagegen waren die Serben der Stadt aufs höchste erregt. In den frühen Morgenstunden wurden von ihnen an den Verkehrsknotenpunkten über 34 Barrikaden gebaut, hinter umgestürzten Lastwagen und Bussen standen sich Bewaffnete beider Parteien gegenüber.
Besorgte Mienen zeigten Muslimanen, als es hieß, die serbisch dominierte jugoslawische Bundesarmee würde eingreifen. Immerhin sind ja in Bosnien die Versorgungs- und Waffenlager dieser Armee zu finden. Viele Einheiten, die sich aus Kroatien zurückgezogen haben, sind nun in Bosnien stationiert. Doch bisher hat die Armee sich ruhig verhalten. „Es gibt keinen Grund, einzugreifen“, erklärte ein Militärsprecher lapidar in einer Radiosendung, umrahmt von sanfter klassischer Musik.
Das meiste Leben spielt sich noch im Bahnhofsviertel ab. Kein Wunder, Hunderte Gastarbeiter, Handelsreisende und Touristen sitzen hier fest. Die Züge sind stehengeblieben. Der Busverkehr ist ebenfalls unterbunden. Zu essen gibt es nichts mehr in den Kneipen, dafür fließt viel Alkohol. Und manch einer sitzt hier schon seit Stunden am Tresen in einer bunten Mischung: Muslimanen, Kroaten, Serben, Albaner, Roma. Und die Reisenden beteuern sich gegenseitig, keine Feinde zu sein. „Das ist doch der helle Wahnsinn“, hallt es immer wieder von den Tischen. Die meisten hier sind Gastarbeiter, die nur für ein verlängertes Wochenende nach Hause fuhren, um für ihr Bosnien zu stimmen, „für ihre Heimat“. Doch schon dies ist verräterisch, handelt es sich bei den Wählern doch um Muslimanen oder Kroaten.
Wie angespannt die Stimmung hier im Bahnhofsviertel ist, zeigen die Reaktionen auf die Frage, wer denn hinter dem Mord an Nikola Gardovic stecken könnte? Die Geheimpolizei? Drogensüchtige, wie offiziell verlautbart? Islamische Fundamentalisten, wie Gerüchte meinen? Oder serbische Provokateuere? Am Sonntag hatten drei Attentäter am historischen Bascarsija-Viertel auf einen serbischen Hochzeitszug geschossen. Der Brautvater wurde dabei auf der Stelle getötet, ein Priester schwer verwundet. Da dies am hellichten Tag geschah, war es ein leichtes, die Attentäter auf der Stelle festzunehmen, die sich nach offizieller Darstellung auch gar nicht wehrten. „Das waren Fundamentalisten, die so den Dschihad [Heiligen Krieg, d.Red.] eröffnen wollten“, meint einer der Gastarbeiter. Ein anderer widerspricht sofort, „das haben die Serben selbst angestachelt, das ist doch klar...“ Weiter kam er nicht. Ein Kollege zog das Messer. Blitzschnell. Er lacht: „Lassen wir solche Gespräche, die bringen keinem etwas.“ Und schon ist das Klappmesser unter dem Mantel wieder verschwunden. Der Mord hat die Gemüter über alle Maßen aufgeputscht.
Zur Mittagszeit verliest Radio Sarajevo eine Fünf-Punkte-Erklärung der Serbischen Demokratischen Partei Bosniens, in der diese die Verantwortung für alle Barrikaden in der Stadt übernimmt. Man sei dazu gezwungen worden, da die „Schüsse auf Nikola Gardovic Schüsse auf das serbische Volk gewesen sind“. Der Zwischenfall ist zu einem Politikum geworden. Die beschwichtigenden Worte von Präsident Izetbegovic nützen nichts mehr. Dagegen werden Gerüchte über weitere Tote lanciert. Drei muslimanische Taxifahrer sollen noch in der Nacht aus Rache wegen des Mordes ihrerseits ermordet worden sein. Inzwischen wird schon von elf Toten gesprochen, doch scheinen diese Zahlen übertrieben. Für den Mord an den Taxifahrern ist der Beweis noch nicht erbracht.
In einer Presseerklärung warnt die Serbische Demokratische Partei die Konfliktparteien: Alle Straßenbarrikaden in Sarajevo würden solange aufrecht erhalten, bis die bosnische Regierung unter Führung der muslimanischen Politiker alle weiteren Schritte zu einer staatlichen Unabhängigkeit aussetzt. Und die Serben verlangen Zugang zur Polizei, die fest in muslimanischer Hand ist. Das Innenministrium soll in drei ethnische Bereiche aufgeteilt werden. Wird es zu Konzessionen kommen? In einer Erklärung des Republikpräsidiums wird angedeutet, daß die Ausrufung der Unabhängkigkeit verschoben werden könnte.
Montenegriner wollen Jugoslawen bleiben
Im südlichen Neubaugebiet, wo schwer bewaffnete Serben und Moslems aus umgestürzten Bussen und Lastwagen Barrikaden errichtet haben, sind führende Vertreter der Serben aufgetaucht, um die Kämpfer zum Aufgeben zu bewegen. Die Polizei hatte schon am Vormittag die meisten moslemischen Barrikaden unter ihre Kontrolle gebracht. Am Nachmittag sendet Radio Sarajevo islamische Trauermusik ohne Wortbeiträge. Und es wird noch stiller, noch unheimlicher im alten Viertel. Der undurchdringliche Nebel, für den Sarajevo bekannt ist, zieht auf und umschließt die Stadt.
Dagegen blieb in Montenegro, der Nachbarrepublik, alles ruhig. Die Mehrheit der Wähler hat sich dort für einen Verleib in Rest-Jugoslawien ausgesprochen. 66 Prozent stimmten mit „Ja“. Die Frage lautete: „Akzeptieren Sie, daß Montenegro als souveräne Republik weiterhin in einem gemeinsamen Staat — Jugoslawien — bleiben wird, gleichberechtigt mit den anderen Republiken, die dies wünschen?“ Etwa 410.000 Wähler waren in der kleinsten jugoslawischen Republik aufgerufen, ihre Stimme bei dem Referendum abzugeben.
Die Opposition hatte zu einem Boykott des Referendums aufgerufen. Sie sah in dem Referendum nur das Ziel, die „autoritären Regime in Belgrad und Titograd zu bewahren“. Bei dem Referendum stimmte die Mehrheit auch für eine Umbenennung der Hauptstadt Titograd. Die nach Marschall Tito 1945 umbenannte Stadt soll nun wieder Podgorica heißen. Roland Hofwiler, Sarajevo
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