piwik no script img

Weg von der Provinzialität

■ Ein Preis, der jeden schmückt: Das Adolf-Grimme-Institut verleiht heute in Marl den wichtigsten deutschen Fernsehpreis/ Ein Gespräch mit Institutsleiter Lutz Hachmeister

taz: Alljährlich werden die Grimme-Preisträger von unabhängigen Juries ausgewählt. Sind Sie mit dem Urteil der Juroren zufrieden?

Lutz Hachmeister: Das ist eine Fangfrage für einen Institutsdirektor, der gerade die Unabhängigkeit der Juries garantieren und nicht nachträglich ihre Urteile klassifizieren soll. Als Kritiker bin ich immer für Fernsehsendungen mit starken symphonischen Qualitäten eingetreten, d.h. Sendungen, die im Timing und in der Verbindung von Visualität und Text überzeugen konnten. Für solche Sendungen wünschte ich mir mehr Preise als bisher.

Im nächsten Jahr feiert das Grimme-Institut seinen 20. Geburtstag. Hat sich seine Arbeit im Laufe der Jahre verändert?

Zu Beginn standen die Arbeit am Grimme-Preis und an medienpädagogischen Projekten häufig unvermittelt nebeneinander. Seit einigen Jahren ist es gelungen, die Arbeit auf zwei Punkte zu konzentrieren. Die Frage, wie Bildungs- und Mediensystem miteinander zusammenhängen, und die Definition von „Programmqualität“ in Hörfunk und Fernsehen stehen heute im Mittelpunkt. Dazu organisieren wir jeweils praktische Projekte, Tagungen und Colloquien. Aktuell beschäftigen wir uns mit einem großen Projekt zur deutsch- deutschen Mediengeschichte.

Die „Marler Tage der Medienkultur“ und das „Internationale Fernsehfest Köln“ haben Sie mit aus der Taufe gehoben. Gibt es nicht genügend derartige Veranstaltungen? Was ist ihr spezifisches Profil?

Bei den ersten „Marler Tagen“ 1989 haben wir vier Filme vorgeführt, die sich auf unterschiedliche Weise mit Uwe Barschels Geschichte beschäftigt haben, und deren unterschiedliche Argumentation und Ästhetiken verglichen. Das war ein thematischer Glücksfall. Ich würde mir auch für die Zukunft wünschen, daß sich die „Marler Tage“ stärker als andere Medienveranstaltungen mit konkreten Produktionen und deren Bedingungen beschäftigen. Beim „Internationalen Fernsehfest“ im Rahmen des nordrhein- westfälischen Medienforums wird „quality television“ im internationalen Vergleich präsentiert. Wir möchten damit die bundesdeutsche Fernsehdiskussion ein Stück weit von ihrer Provinzialität befreien und versuchen, hervorragende ausländische Produktionen ins deutsche Fernsehen zu bringen.

Berlin gilt heute als Medienstadt der Zukunft. Reizt es Sie nicht, mit dem Marler Institut nach Berlin umzuziehen?

Marl ist Mythos und harte Realität zugleich; Ruhrgebietsrealität mitten in einer Welt, die sich immer stärker fiktionalisiert. Von daher würde das Grimme-Institut verlieren, wenn es aus Marl wegginge. Voraussetzung für den Standort Marl ist allerdings, daß sich die Stadt Marl und das Land Nordrhein-Westfalen darauf besinnen, dem Adolf-Grimme-Institut die erforderliche finanzielle Handlungsbasis zu geben. Eine Dependance in Potsdam kann ich mir jedoch sehr gut vorstellen, um eine vernünftige Weiterbildung für die neuen Bundesländer anbieten zu können.

Die selbstgestellte Aufgabe Ihres Instituts besteht darin, die strukturellen Veränderungen des Mediensystems zu analysieren. Was hat sich über die Jahre verändert?

Um vom Fernsehen zu reden: Es ist immer stärker auf seine technologische Struktur zurückgeworfen worden. Serialität ist sein wesentliches Kennzeichen. Und die technologische Revolution, die durch die Fernbedienung hervorgerufen ist, durch ein ganz kleines, unscheinbares Ding, kann ja schließlich jeder selber verspüren, der 25 Kanäle empfangen kann. Das Fernsehen ist einfach nicht mehr das, was es 1960, 1970 war. Der Kasten sieht zwar noch genauso aus, aber wir haben es mit einem vollkommen veränderten Medium zu tun. Das Fernsehen der Zukunft wird im wesentlichen durch Pay TV oder Pay per view bestimmt, das wird dann paradoxerweise wieder den Werk- und Ereignis-Charakter von Sendungen stärken.

Immer neue Fernsehpreise werden ins Leben gerufen. Sehen Sie nicht die Gefahr, daß der Grimme- Preis entwertet wird?

Nicht in dem Sinne, daß er an Aufmerksamkeit verliert, eher im Gegenteil: Seine Publizität und sein Bekanntheitsgrad sind über die Jahre gewachsen. Zum anderen besteht der Grimme-Preis nicht aus einer dieser hastig zusammengetrommelten Juries, die sich telefonisch über Preisträger verständigen, sondern die Jury-Sitzungen ziehen sich über ein halbes Jahr hin und sind auch mehr Kommunikationsforen für journalistische und ästhetische Qualitäten, als daß sie auf einen Gala-Abend hinzielen. Die Verleihungszeremonie ist ja auch eher schlicht und bodenständig. Daß ARD und ZDF mit dem Telestar einen Preis geschaffen haben, den sie sich im wesentlichen selbst verleihen, ist eine Form anstaltseigener Psychotherapie. Das öffentlich-rechtliche System ist sich über seine Unternehmensziele vollkommen unklar, da sind einfach Kriterien von Unabhängigkeit und Seriosität verlorengegangen.

Welche Bedeutung hat der Grimme-Preis für die Fernsehanstalten?

Der Preis hatte in den sechziger und siebziger Jahren den Ruf einer Auszeichnung für explizit „linkes“ Fernsehen, als zum Beispiel Rote Fahnen sieht man besser von Schübel/Gallehr einen Grimme-Preis mit Gold bekam. Der WDR-Programmdirektor Hübner hat damals sinngemäß gesagt, das ist ein Preis für Sendungen, die im dritten Programm um 23 Uhr laufen und die keiner sehen will. Dieses Image hat sich in den Achtzigern verändert, weil es weniger Gesinnungsauszeichnungen gab und der Grimme-Preis sich stärker auf die Qualitäten des gesamten Programms eingelassen hat. Außerdem sind die Kommissionen stärker mit jüngeren Juroren besetzt worden, die ein entspannteres Verhältnis zum Entertainment haben. Die Konkurrenzsituation zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Anbietern hat zumindest dem Grimme-Preis genutzt. Alle lassen sich gerne damit schmücken.

Viele Medienkritiker glauben, daß das Programm trivialer geworden sei, seit es die Privaten gibt. Die öffentlich-rechtlichen Programme sollen sich den Privaten angepaßt haben.

Die Interpretation ist mir zu eindimensional. In der qualitativen Spitze ist das Fernsehen durchaus raffinierter und selbstbewußter geworden. Zum anderen kann es keinem Fernsehsystem der Welt gelingen, fünf oder sechs öffentlich-rechtliche Kanäle von morgens bis abends mit qualitativ außerordentlichen Produkten zu füllen. Ich plädiere daher für eine Reduktion des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, damit es wieder zu sich selbst kommt. Die Generalangriffe auf das öffentlich-rechtliche Prinzip gehen ja auch nicht von RTLplus oder Sat.1 aus, sondern von „Premiere“, von der „Westschiene“ und von Alexander Kluge. Um nicht mißverstanden zu werden: Gut gemachte, massenattraktive Serien sind wichtig für das Fernsehen. Wenn sie auch nicht unbedingt einen Grimme-Preis bekommen müssen.

Haben Sie ein persönliches Traumprojekt, das Sie sich für die Zukunft wünschen?

Ich persönlich wünsche mir eine vernünftige Kinosendung im Ersten und werde mich in der nächsten Zeit dafür stark machen. Was das Grimme-Institut betrifft: Wir wollen das Fernsehfest in Köln in Kooperation mit der NRW-Regierung und Landesanstalt für Rundfunk ausbauen. Ich möchte einen europäischen Fernsehpreis als eigenständigen Wettbewerb schaffen, damit zum Beispiel The Singing Detective nicht länger durchs Grimme-Raster fallen muß. Zum anderen ist die Frage, ob wir nicht in Deutschland eine Programm-Messe hinbekommen, wie es sie in Cannes oder in Brighton gibt. Auch die Forschungsarbeiten über Programmqualität und deren Beziehung zum Bildungssystem möchte ich gerne vorantreiben.

Sind diese Wünsche vor dem finanziellen Hintergrund des Grimme-Instituts zu verwirklichen?

Das Institut braucht eine starke öffentliche Förderung, weil es sich nicht unbegrenzt als Profit-Center oder Sponsoring-Eintreiber verstehen kann, wenn es unabhängig bleiben will. Ich bin bis heute nicht sicher, ob die NRW-Administration vollständig begriffen hat, welchen Wert es für die nordhrein-westfälische Medienkultur hat, eine solche Institution im Lande zu haben. Tatsache ist, daß die Zuwendungen stagnieren und damit real rückläufig sind. Interview: Karl-Heinz Stamm

Ab 19 Uhr ist 1plus bei der Preisverleihung live dabei. Um 22Uhr gibt's in der ARD eine Zusammenfassung. In den nächsten Wochen zeigt 1plus elf der ausgezeichneten Filme. Mit Fremde liebe Fremde startet die Reihe am Samstag um 16.20 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen