: Zulieferer im Schatten der Autokrise
Die neuen Produktionskonzepte der europäischen Autoindustrie setzen die Branche weiter unter Druck ■ Aus Hannover Donata Riedel
Japaner trifft man nur ganz selten auf der Hannover-Messe Industrie. Zumindest in jenen Hallen, in denen vorwiegend deutsche und europäische Zulieferunternehmen ihre Schrauben samt Muttern, Schläuche, Dichtungen, Zahnräder und Motorblöcke ausstellen, wären sie an den meisten Ständen höchst unwillkommene Gäste. Einen Großteil ihrer Produkte nämlich liefern die meist mittelständischen Unternehmen an die hiesige Automobilindustrie — und die hat große Schwierigkeiten, mit der fernöstlichen Konkurrenz mitzuhalten. Toyota, Mitsubishi und Nissan produzieren kostengünstigere Autos von häufig besserer Qualität.
Bei einem Modellwechsel haben die Japaner nach durchschnittlich 1,4 Monaten ihren Qualitätsstandard wieder erreicht; die deutschen Autobauer brauchen demgegenüber ein ganzes Jahr, bis sich die neuen Produktionsabläufe exakt eingespielt haben. Und seit im Herbst eine Studie des US-amerikanischen Massachusetts Institute of Technologie (MIT) auch in deutscher Übersetzung die „zweite Revolution der Autoindustrie“ beschwor, haben auch die Manager der bundesdeutschen Autoindustrie die „lean production“, schlanke Fertigungsabläufe in ihren Wortschatz aufgenommen.
Das MIT führte in seiner Studie den Erfolg der japanischen Konkurrenz weniger auf die niedrigeren Lohnkosten als auf die deutlich effizientere Unternehmensorganisation zurück. In der Fertigung bedeutet das, sämtliche Arbeitsabläufe daraufhin abzuklopfen, daß kein Schritt doppelt oder von unterschiedlichen Abteilungen parallel vollzogen wird. Die Kernfragen lauten: Wo könnten Ressourcen oder Arbeitsschritte gespart werden, und welche Abläufe sind unrentabel?
Für die „lean production“ abspecken werden hierzulande wohl zunächst die Zulieferfirmen, deren Vertreter auf der weltgrößten Industriemesse den „gnadenlosen Preisdruck“ beklagten: Das Geld, das die Herren von VW, Mercedes oder BMW für die vorgefertigten Einzelteile noch bereit sind zu zahlen, reicht immer häufiger nicht aus, die Produktionskosten des Zulieferbetriebes zu decken. Wilhelm Kremer aus Bad Soden-Salmünster jedenfalls ist froh, daß Kunststoffhalterungen für Pkw-Außenspiegel und Kautschukmatten, die zwecks Lackschonung unter die Halterungen der Dachgepäckträger montiert werden, nur einen kleinen Teil der Produktion seines Sechzig-Leute-Betriebes ausmachen. Andere kleine Firmen, die fast ihre gesamte Produktion auf den Pkw-Bau ausgerichtet haben, gerieten immer tiefer in Finanzschwierigkeiten, erklärt Krämer. Eine Forschungsstudie der deutschen Automobilwirtschaft bestätigt dies: Die Preise für Zulieferteile sind unter das Niveau von 1985 gerutscht. In den Messehallen, wo jede Firma sich nur von der besten Seite präsentiert und Pleuelstangen oder Motorblöcke liebevoll in Glasvitrinen arrangiert werden, sind es natürlich jeweils die anderen, die größere Schwierigkeiten damit haben.
Wohin die Entwicklung der Automobilindustrie und ihrer Zulieferer gehen wird, ist allerdings absehbar. Nimmt man Japan als Vorbild, wird nach der „zweiten Revolution“ der Produktionstechnik im Automobilbau die Zahl der europäischen Autozulieferer auf ein Fünftel zusammengeschrumpft sein — sei es durch Pleiten oder Fusionen. Die spektakuläre Übernahme des weltgrößten Fahrzeuginstrumenteherstellers VDO durch Mannesmann werten die Aussteller als Beginn eines Konzentrationsprozesses. Mannesmann gelangte so in die Gruppe der zehn größten Autozulieferer Europas. Auch Bosch und Varta wollen künftig nicht mehr als Konkurrenten im Autobatteriebau gegeneinander antreten; sie gründeten für die Sparte das Gemeinschaftsunternehmen VB Autobatterie GmbH.
Noch würden die europäischen Autobauer, sagt Siegfried Aberle von Continental, dem weltweit viertgrößten Reifen- und Gummiproduzenten, ihre Einzelteile „direkt um die Ecke“ einkaufen. Das allerdings könne sich schnell ändern. Opel zum Beispiel kauft schon heute überall dort auf der Welt ein, wo es am günstigsten ist. Auch Aberle geht davon aus, daß die „lean production“ zuerst die Zulieferindustrie zum Abmagern zwingt. Conti versuche, „durch Systemlösungen das kleine Gummi interessanter zu machen“. So würde die Unternehmenssparte Contitech nicht mehr bloß Kautschuk in Schlauchform bringen, sondern auch die nötigen Anschlußarmaturen herstellen. Bald sollen, schwebt den Pneuproduzenten vor, die Reifen samt Felgen geliefert werden.
Die Fertigungstiefe, welche die Automobilproduzenten in den frühen achtziger Jahren immer weiter verringert haben, wird ebenfalls auf die Zulieferindustrie abgewälzt. Lediglich 30 bis 35 Prozent eines in Westeuropa gefertigten Autos werden von den Automobilkonzernen selbst gebaut. Die Autobauer bestellen heute nicht mehr nur Einzelteile, sondern am liebsten gleich ganze Baugruppen. Auch die Just-in-time- Produktion, also die Lieferung der vorgefertigten Einzelteil genau dann, wenn sie im Produktionsablauf direkt eingebaut werden können, wird wohl bald nur noch ein Mythos sein. Weil die Autohersteller immer höhere Qualität der vorgefertigten Einzelteile fordern, sehen sich Zulieferer wie Conti außerstande, mal eben schnell die gewünschten Reifen zu produzieren und anzuliefern. Und noch fehlen ihnen jene großen Bauteile-Lagerhallen, die die Autohersteller selbst vor ein paar Jahren abgerissen haben.
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