: Atommüll lagert mitten in Berlin
Bundesanstalt für Materialprüfung findet seit 1986 keine Abnehmer für ihre radioaktiven Abfälle/ Die Grünen: Senat hat jahrelang ein illegales Zwischenlager für Atommüll geduldet ■ Aus Berlin Hannes Koch
Radioaktiver Müll stapelt sich zwischen den Wohngebieten des Berliner Bezirks Steglitz. Schon seit 1986 hat die Bundesanstalt für Materialforschung (BAM) an der Straße „Unter den Eichen“ keine Abnehmer mehr für die Rückstände aus ihren Materialuntersuchungen. Das Kernforschungszentrum Karlsruhe— ursprünglich als Zwischenlager vorgesehen — weigerte sich sechs Jahre lang, den Atommüll anzunehmen. Wärend die BAM eine Gefährdung der Menschen in der Umgebung ausschließt, werfen die Berliner Grünen dem Senat vor, in Steglitz ein „illegales atomares Zwischenlager mit kaum abschätzbaren Gefahren“ zu dulden.
Die Abfälle sind nach Informationen der Bundesanstalt für Materialforschung in 21 Fässern einbetoniert. Neben schwach radioaktiven Materialien sollen die Fässer etwa 500 Gramm Uran 238 und zehn Gramm des Atombrennstoffs Uran 235 enthalten. Außerdem sammelte die BAM neun Gramm hochgiftiges Plutonium. Die Hälfte davon befindet sich in einem Faß, was nach Einschätzung der „Gruppe Ökologie“ in Hannover „eine sehr große und gefährliche Menge“ ist.
„Es ist totaler Blödsinn, die Fässer als hochstrahlende Abfälle zu bezeichnen“, meinte gestern ein Mitarbeiter der BAM. „Da sind nur kleine Mengen Spaltprodukte drin.“ Die von der BAM angegebene radioaktive Strahlung an der Oberfläche der Fässer liegt mit etwa 0,001 Rem weit unter den Grenzwerten der Strahlenschutzverordnung (0,2 Rem). Für Beschäftigte und AnwohnerInnen stellen die Fässer angeblich keine Gefahr dar, weil die Lagerräume einbruchsicher seien und radioaktive Abluft durch einen Filter zurückgehalten werde, gab die BAM gestern bekannt. 100 Meter vom Atommüll entfernt lagern brennbare Flüssigkeiten — aber auch ein Brand ist ungefährlich, weiß die BAM.
Als die grüne Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus die Lagerung der strahlenden Abfälle in Steglitz bekannt machte, herrschte zunächst große Konfusion in den Senatsverwaltungen. Der Umweltsenator schob die Verantwortung an die Sozialsenatorin ab, die wiederum den Schwarzen Peter ihrem Öko-Kollegen zurückgab. Schließlich übernahm Umweltsenator Hassemer die Verantwortung und erklärte: Die BAM habe eine Genehmigung nach Paragraph neun des Atomgesetzes für den Umgang mit Kernbrennstoffen. Eine besondere Lagergenehmigung sei wegen der geringen Menge nicht erforderlich.
Das allerdings bezweifelt der grüne Abgeordnete Hartwig Berger: Er befürchtet, daß durch die Verzögerung des Abtransports seit 1986 die genehmigten Mengen überschritten wurden und die Fässer deshalb ein „illegales atomares Zwischenlager“ darstellen. Berger forderte Umweltsenator Hassemer auf, der BAM die Lagergenehmigung zu entziehen und dem möglichen „schweren Bruch des Atomgesetzes nachzugehen“.
Der Atommüll von Steglitz stammt aus Analysen, die die Bundesanstalt für Materialforschung im Auftrag der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) durchführt. Über die Herkunft der von ihr untersuchten Proben will die BAM keine Auskunft geben.
Das Berliner Atommüllager kann als Beispiel gelten für den Entsorgungsnotstand der bundesdeutschen Atomindustrie. Die Fässer konnten nicht abtransportiert werden, weil durch den Transnuklear-Skandal von 1987 zunächst die Transportfirma ausfiel. Dann waren in der Kernforschungsanstalt Karlsruhe keine Lagerkapazitäten mehr vorhanden. Jetzt behauptet die BAM zwar, die zehn gefährlichsten der 21 Fässer demnächst nach Karlsruhe schicken zu können, doch schon die nächste Fuhre wird wieder zum Problem. Karlsruhe will den Inhalt der Berliner Fässer nur unter der Bedingung verbrennen, daß die BAM die Asche — immer noch drei Fässer — zurücknimmt.
Wohin damit? „Das muß noch besprochen werden“, so BAM-Abteilungsleiter Rudolf Neider. Vielleicht ins Hahn-Meitner-Institut im Berliner Stadtteil Wannsee, vielleicht in das umstrittende Atom-Zwischenlager nach Gorleben. Denn ein Endlager für radioaktive Abfälle wird es in Deutschland auf absehbare Zeit nicht geben.
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