: IWF verweigert russisches Roulette
IWF-Direktor Camdessus will den Einsatz von Hilfsgeldern an Bedingungen knüpfen/ Finanzminister der Industriestaaten verlangen überzeugendes Reformprogramm/ Kritik an deutscher Staatsverschuldung ■ Aus Washington Donata Riedel
Seit etwa einem Jahr gibt es auf dem Parkett der Weltökonomie ein neues Ritual: Acht hochrangige Herren, aus den USA, Japan, der Bundesrepublik, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada (der „Group of 7“, G-7) und ein Vertreter der EG-Kommission, warten auf einen Russen. Auf dem Londoner Weltwirtschaftsgipfel im Juli vergangenen Jahres sollte Michael Gorbatschow den versammelten Regierungschefs ein überzeugendes Wirtschaftsprogramm präsentieren. Im November warteten die Finanzminister in Bangkok auf der IWF-Jahrestagung auf Gorbatschows letzten Chefökonomen Grigori Jawlinski und seinen Zwölfstufenplan zum Umbau der sowjetischen Planwirtschaft. An diesem Wochenende trifft sich nun die Bangkoker Herrenrunde in Washington mit dem amtierenden russischen Premier Jegor Gaidar. Gaidar soll erläutern, welche Reformen in Rußland bisher umgesetzt worden sind. Anders als noch in Bangkok sind diesmal jedoch die USA wild entschlossen, ein Hilfspaket für die größte der 15 Ex-Sowjetrepubliken zu schnüren — während ihre G-7- Partner zurückhaltender reagieren und IWF-Direktor Michael Camdessus am Donnerstag gar vor zuviel Euphorie warnte.
David Mullford, der als US-amerikanischer Finanzstaatssekretär die jeweiligen G-7-Gipfeltreffen vorbereitet, will die ehemaligen Sowjetrepubliken in „diesem historischen Moment“ zunächst als neue IWF- Mitglieder „freundlich willkommen“ heißen. Gleichzeitig lobte er die russische Regierung für „ihre mutigen Schritte“ hin zur Marktwirtschaft. Von Gaidar erhoffen sich die G-7-Minister detaillierte Informationen über die wirtschaftliche Lage in Rußland, die „etwas unübersichtlich“ sei. Und diese Unübersichtlichkeit könne die Diskussionen im IWF-Interimsausschuß am Montag über das geplante 24-Dollar-Beistandsprogramm „erschweren“.
Bis Dienstag mittag, so die Tagesordnung, soll der Interimsausschuß über die Aufnahme der 15 früheren Sowjetrepubliken entscheiden und ihre Quoten (den Anteil am IWF- Fondskapital) festsetzen. „Glauben Sie aber bitte nicht, daß der Ausschuß gleichzeitig einen Sechs-Milliarden-Dollar-Stabilisierungsfonds für den Rubel beschließen wird“, sagte IWF-Direktor Michael Camdessus, der im Gegensatz zu David Mullford darauf beharrte, daß die strengen Auflagen, an die der IWF seine Hilfe für die Entwicklungsländer knüpft, auch für Rußland zu gelten haben. „Wir brauchen eine verläßliche stabile Politik in Rußland, nicht bloß ein Papier mit den Unterschriften von zwei Offiziellen“, so Camdessus. Die Reformen müßten umgesetzt werden und der Prozeß kontrollierbar sein. Der Rubel müsse seinen eigenen Wert finden, erst dann biete ein Stabilisierungsfonds Erfolgschancen. Heute, bemängelte der IWF-Direktor, sei nicht einmal klar, wie groß die Rubel-Zone am Ende dieses Jahres sein werde.
Um einen Stabilisierungsfonds für den Rubel zu finanzieren, haben sich die G-7-Länder darauf verständigt, zusätzlich zum IWF-Kapital einen Sonderfonds nach den sogenannten General Arrangements to Borrow (GAB) aufzulegen. Auf dieses Arrangement hatten sich 1962 die G-10-Länder (außer den G-7-Staaten sind das Belgien, die Niederlande, Schweden und das Nicht-IWF-Mitglied die Schweiz) verständigt. Danach leihen diese Länder Geld an den IWF aus, wenn der Fonds unter bestimmten Bedingungen kurzfristig mehr Mittel braucht. Über diesen Nebenhaushalt wollen die Industriestaaten vermeiden, das gerade erst erhöhte Fondskapital in den nächsten Monaten weiter aufzustocken. Eine allgemeine Quotenerhöhung, so Camdessus, würde der dringend notwendigen Sparpolitik in den Industrieländern entgegenstehen. Besonders das bundesdeutsche Haushaltsdefizit biete Anlaß zur Sorge, weil es die Bundesbank zwinge, die Leitzinsen hoch zu halten. Das wiederum hindert die im Europäischen Währungssystem von der D-Mark abhängigen anderen EG-Staaten, ihre Zinsen zu senken, um so am Ende der Rezession Anreize für Investitionen zu schaffen.
Beim G-7-Treffen am Wochenende dürfte deshalb Finanzminister Theo Waigel (CSU) nicht allzu freundlich empfangen werden. „Selbstverständlich mischen wir uns nicht in die inneren Angelegenheiten unserer Partnerländer“, floskelte David Mullford, um im nächsten Satz zu fordern, daß die Kosten der deutschen Einheit endlich von den Westdeutschen zu zahlen seien, und nicht länger über die hohen Zinsen von den Europäern. Das Haushaltsdefizit einschließlich Treuhand, Post und Bahn summiere sich inzwischen auf sechs Prozent des Bruttosozialprodukts. Fünf Prozent gilt unter Experten als die Schmerzgrenze, die von einer gesunden Volkswirtschaft nicht überschritten werden sollte.
Die Politik des IWF, der von seinen in Finanzschwierigkeiten geratenen Mitgliedsländern zunächst eine Sanierung der öffentlichen Haushalte und Beseitigung der Inflation auch auf Kosten des Wirtschaftswachstums verlangt, bezeichnete Camdessus als erfolgreich. Erstmals seit Jahren hatten in etlichen Entwicklungsländern die Wirtschaftsdaten „Anlaß zu Optimismus“ gegeben. Die „sozialen Probleme“, sprich: Armut, könnten erst danach und auch nicht innerhalb kurzer Zeit gelöst werden. Jetzt komme es vor allem darauf an, daß die Regierungen der Entwicklungsländer die IWF- Programme durchhalten — und die Verhandlungen über ein Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (Gatt) erfolgreich abgeschlossen werden. Die Industrieländer würden allen armen Ländern, auch den osteuropäischen, am meisten damit helfen, wenn sie die Importbarrieren gegen Agrarprodukte, Textilien und Stahl abbauen würden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen