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Drohung mit Effenberg

■ Der Schatten der Münchner Bayern lastet auch auf der Frankfurter Eintracht, die in Leverkusen 3:1 gewann

Leverkusen (taz) — „Das war unsere beste Leistung der ganzen Saison.“ Schluß, Punkt, aus, keine Debatte bitte, und Widerspruch ist zwecklos. Dragoslav Stepanovic war hinterher auf dem Euphorie- Trip. Und er stand da, leicht erhöht, und dozierte in bewährtem Serbohessisch das Fußballeinmaleins über seine Eintracht: „In allen 34 Spielen bisher, bis auf zwei Halbzeiten vielleicht“ seien die Seinen die klar überlegene Mannschaft gewesen, jetzt habe man zum dritten Mal einen Rückstand in der Tabelle aufgeholt, das heißt: „Jetzt beginnt die Saison wieder ganz neu.“

Mutigerweise habe er „voll auf Offensive gesetzt“, seine Entscheidung sei das gewesen, eine richtige, ganz spontane, und wie er erst zehn Minuten vor Spielbeginn den cleveren Winkelzug ausgeheckt habe, „den Gründel da ins Spiel reinzuwerfen“, und wie der gespielt habe, „also, so was von einem Profi, und das bei einem 35jährigen“, toll, schließlich habe man vorher in einträchtiger Zwietracht „über Monate nicht zusammen geredet“. Und sein zweiter Neuer, der Amateur Dirk Wolf, „was der Kleine für einen Spaß im Spiel gehabt“ habe und ihm gemacht habe. Und der Ralf Weber, ja, auch das sei seine überraschende Entscheidung gewesen, den in neuer Rolle im zentralen Mittelfeld spielen zu lassen, „ein wunderbarer Fußballer, nicht?“ Eintracht unbesiegbar: „Wir hätten heute auch gegen 15 Leverkusener gewonnen.“

Das kann sogar sein. „Wir haben es der Eintracht sehr, sehr einfach gemacht“, meinte zu Recht Bayer-Coach Reinhard Saftig. So abenteuerlich stümperhaft und konfus die ersatzgeschwächten Leverkusener vor allem in der zweiten Halbzeit herumwerkten, muß man sogar befürchten, daß sie sich mit größerer Anzahl noch häufiger gegenseitig im Weg gestanden hätten. Kirsten kickte so unauffällig bis zur Existenzverleugnung wie ein IM arbeitete, Andreas Fischers Pässe fanden Frankfurter Beine wie ein Magnet und Andreas Thom, zuletzt so stark, am Samstag völlig daneben, hätte sich bei seinen Dauerfummeleien fast auch noch im Gebein der eigenen Leute verheddert.

Oder Jorginho, dieser sonst so begnadete Ballzauberer: Was der für unerklärlich tumbe Fehlpässe fabrizierte, und wie der immer wieder so lange zögerte, bis auch die komplette Konzernbelegschaft, hätte sie mitgespielt, im Abseits gestanden oder gedeckt gewesen wäre. Aber so ist das eben: Kaum hat einer, wie jetzt Jorginho, bei den Bayern unterschrieben, spielt er schon wie ein solcher.

Bertholdhaft schlief er, als Yeboah eine solch wunderbar regenbogenhaft gekrümmte Flanke in die Mitte zirkelte, gegen die eine jede Banane die Form einer geraden Linie gehabt hätte, und Möller, diesmal fast Mittelstürmer spielend, wuchtig einköpfte. Oder als er, Jorginho, wie alle, Beins Lupfer auf Webers Kopf zum 0:2 bestaunte oder Falkenmayers Fernschuß kunstfertig in den Winkel abfälschte. Und sein zufälliger Winkelkracher in letzter Minute kündigte schon Jorginhos Adaption der wichtigsten Bayern-Eigenschaft an: die ewige Pacht des Glücks. Wenn die Bayer-Fußballer, so das böse Verdikt, stets langweiligen Angestelltenfußball bieten und von einer kreativitätshinderlichen Beamtenmentalität befallen sind, dann war der Kick vom Samstag der sportliche Auftakt zum Streik im öffentlichen Dienst. Dabei hatten sie vorher gar von Meisterschaftschancen gesprochen. Ganz untypisch für den Konzernklub, der im Zweifelsfall lieber das Mittelmäßige hofiert, damit man bloß keine negativen Schlagzeilen, gar Gespött erregt. Denn so was fürchtet man beim Bayer wie die Knallgasexplosion im Labor.

Und dennoch mußten die Hessen froh sein, überhaupt gewonnen zu haben. Denn ihr Spiel ist nach wie vor eine Mischung aus Genialität und lässiger Nonchalance. Blindes Verständnis im Mittelfeld wechselt mit blind vergebenen Torchancen. Provozierend kunstfertiges Kleinklein, vor allem dank Bein, bis in den Fünfmeterraum des Gegners — das ist nur dann Traumfußball, wenn hinterher das Ergebnis stimmt. Wenn durch irgendeinen Zufall oder Jorginho der Ausgleich gefallen wäre, hätte das Spiel ganz leicht kippen können.

Aber hinterher, im Glanze der Tabellenführung, zählen solche Wenns und Abers nicht. Und Stepanovic kultiviert weiter den zukünftigen zünftigen Zwietrachtler- Zwist. „Freunde auf dem Fußballplatz sind selten“, weiß er, Animositäten und Machtkämpfe müsse sein Team „im Spiel auf dem Platz rausschwitzen. In einer Mannschaft, wo es keinen Streit gibt, ist was verkehrt.“ Also denn, wir lernen um: Elf Feinde müßt ihr sein. Und für den Fall titelhinderlicher Ruhe, hat Stepanovic auch schon sein Rezept parat: „Dann müssen wir schnell überlegen, den Effenberg zu holen.“ Bernd Müllender

Eintracht Frankfurt: Stein - Binz - Roth, Bindewald - Gründel (80. Frank Möller), Falkenmayer, Bein, Andreas Möller, Weber, Wolf - Yeboah

Zuschauer: 25.000; Tore: 0:1 Möller (24.), 0:2 Weber (69.), 0:3 Falkenmayer (78.), 1:3 Jorginho (89.)

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