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Kurden gucken in die Röhre

Mit dem Satelliten-Programm Eurasia macht die türkische Regierung Politik  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

„Die Welt des Türkentums erstreckt sich von der Adria bis nach China“, frohlockte der türkische Ministerpräsident Süleyman Demirel während seines Staatsbesuches im zentralasiatischen Usbekistan. Auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion machte der türkische Premier in der vergangenen Woche eine Reise in die zentralasiatischen Republiken. „Ich bin glücklich, meinen Fuß auf die Heimat unserer Urgroßväter zu setzen“, schwärmte Demirel gefühlsdurchwallt, und der usbekische Staatspräsident Islam Kerimow umarmte den Gast aus Ankara, noch bevor Demirel dem Flugzeug entstiegen war.

Pünktlich zur Ankunft Demirels in Usbekistan startete das türkische Fernsehen sein Satellitenprogramm Eurasia, das in allen zentralasiatischen Turkrepubliken empfangen werden kann. Die türkischen Kapitalisten mühen sich noch ab, die zentralasiatischen Märkte zu durchdringen, und die türkischen Printmedien sind für die kyrillisch schreibenden Turkvölker fremd wie chinesisch. Doch mit dem Mammutprojekt Eurasia ist dem Fernsehen der große Sprung nach vorne gelungen. Angesichts des katastrophalen Niveaus der Fernsehprogramme in den Turkrepubliken, wird Eurasia zu einem gewaltigen Instrumentarium, das der Türkei insbesondere im Kaukasus und in Zentralasien politischen Einfluß sichert. Die Türkei öffnet der „Welt des Türkentums von der Adria bis nach China“ nicht nur die Tore zu amerikanischen Serien von Sesamstraße bis Dallas. Die Turkmenen, Usbeken, Kirgisen und Kasaken folgen bereits in der Flimmerkiste den Nachrichtenprogrammen und den politischen Features, die vom staatlichen türkischen Sender TRT in Ankara produziert werden. „Das türkische Fernsehen ist zum zweitgrößten Fernsehen der Welt geworden“, lautete die Schlagzeile der Istanbuler Tageszeitung 'Hürriyet‘.

Über Eutelsat II wird in Europa und Nordafrika gesendet, über Intelsat V in Zentralasien, Indien, Nordchina und einem Teil des Nahen Ostens. In wenigen Jahren soll der erste türkische Satellit „Türksat“ in Betrieb gehen. Der „große Bruder“ aus Ankara will seiner Stimme weltweit Gehör verschaffen. Milliardeninvestitionen und technische Probleme waren kein Hindernis für das neuentdeckte Lieblingskind der Politiker. Eine Anlage in Ankara transferiert das PAL-System — mit dem das türkische Fernsehen arbeitet — auf das Secam-System, damit Eurasia in der ehemaligen Sowjetunion empfangen werden kann. Man hat bereits in Projekten begonnen, die zentralasiatischen Republiken auf das PAL- System umzustellen.

Doch Eurasia ist kein einfaches Satellitenprogramm, das nur wenige per Parabolantenne empfangen können. Es erhält sein politisches Gewicht dadurch, daß mit den zentralasiatischen Republiken Verträge abgeschlossen wurden, wonach jeweils ein nationaler Kanal in den Republiken für die Sendungen von Eurasia reserviert wird. Nicht mehr Moskau, sondern Ankara soll in Buchara gelauscht werden. Die Nachrichtensendung von Eurasia erzielt in Aserbaidschan wahrscheinlich bereits heute höhere Einschaltquoten als die Nachrichtensendung des aserbaidschanischen Fernsehens. Bis Juli ist Eurasia noch in der Testphase. Danach sollen auch Koproduktionen aus den jeweiligen Republiken gesendet werden.

Die türkischsprachigen Programme von Eurasia zielen auf die etwa 100 Millionen Türken, die außerhalb der Türkei leben. Die türkischen Politiker erhoffen sich von dem Projekt, daß dem in der Türkei gesprochenen Türkisch Geltung verschafft wird — Türkisch als Mittel zur Kommunikation unter den verschiedene Dialekte sprechenden Turkvölkern. Die Aserbaidschaner, die Krim-Tataren, die Mesketen und die Gagavuzen sprechen eine Sprache, die dem in der Türkei gesprochenen Türkisch sehr nahe ist. Eine Verständigung bereitet keine Probleme. In Kirgisien und in Kasakistan ist eine Kommunikation mit dem in der Türkei gesprochenen Türkisch dagegen nicht ohne weiteres möglich. Erfolgreich drängten die türkischen Politiker darauf, daß die Turkrepubliken ihr Alphabet von Kyrillisch auf das lateinische Alphabet umstellen. Über zehntausend Studenten aus dem Kaukasus und Zentralasien sollen ab dem nächsten Semester an türkischen Universitäten studieren. Doch Eurasia mit seinen Millionen von Zuschauern wird zweifelsohne das einflußreichste Instrument, um die Turkvölker politisch, kulturell an die Türkei zu binden.

Zeitgleich zu dem euphorisch gefeierten Sendebeginn Eurasias wurde erbittert über ein regionales, kurdisches Fernsehprogramm in der Türkei gestritten. Der Vorschlag, auch einen kurdischen Fernsehsender zu gründen, ging von dem türkischen Staatspräsidenten Turgut Özal aus. Özal — wohl informiert darüber, daß Voice of America seine kurdischsprachigen Radiosendungen startete — plädiert für ein vom türkischen Staat kontrolliertes kurdischsprachiges Fernsehen. „Was wird passieren, wenn nicht wir, sondern die Nachbarstaaten mit kurdischen Fernsehprogrammen beginnen?“, fragte der aufgeschreckte Staatspräsident. Doch Premier Süleyman Demirel, der im Glanz von Eurasia badete, winkte ab. Kurdische Fernsehprogramme auf dem staatlichen Sender seien verfassungswidrig. Unklar ist, ob nach Verabschiedung des neuen Mediengesetzes kurdische Privatsender gegründet werden können. Ja zu türkischem Fernsehen in den Steppen Zentralasiens, aber Nein zum Fernsehen für die eigene kurdische Minderheit, heißt die Devise.

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