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SOMNAMBOULEVARD — TRANCESTREIK VON MICKY REMANN

Alle Schlafwandler bestätigen Gurdjieffs Wort, daß wir in einem Meer der Trance leben, aus dem sich nur gelegentliche Inseln der Bewußtheit erheben. Das ist weder gut noch schlecht, doch sollte man es zur Kenntnis nehmen, zumal dem Meer der Trance der größte Teil des Wachzustands angehört — egal, welch gegenteiligen Illusionen man dort aufsitzt — und natürlich die Arbeitszeit. Es ist doch so: Man geht zur Arbeit, um sich dafür bezahlen zu lassen, in Trance zu fallen. Drum lassen sich in jeder Firma erstaunliche Trancephänomene finden, wie:

Zeitverzerrung. Mit dem magischen Wort „Arbeit“ tritt eine kontextspezifische Hypnose in Kraft, während der „Zeit“ anders fließt als etwa nach Feierabend.

Katalepsie (Starrsucht). Oft sind ganze Muskelgruppen vom Körpergefühl abgetrennt, sie frieren während des Betriebsalltags regelrecht ein.

Altersregression. Erwachsene Männer und Frauen verhalten sich abwechselnd wie Greise oder wie Zehnjährige, vielleicht, weil der Chef in der Nähe ist, oder einfach nur, weil das dem Job enspricht.

Würde mich ein Bühnenmagier dazu bringen, daß mein Arm steif in der Luft hängt, und ich wie ein Kind wispere, das nicht mehr weiß, wie die Uhr läuft, du würdest dich vor Lachen kringeln. Dieselbe Show bei der täglichen Arbeitstrance, und niemand klatscht oder staunt, bis auf einige außerirdische Anthropologen, denen die Sache äußerst bizarr vorkommt.

Dazu liegt über allem noch ein Mantel der Amnesie, der die Beteiligten ihre Trance prompt vergessen läßt. Wie funktioniert das? Gibt es bösartige Zauberer, die arme Opfer manipulieren? Mag sein, obwohl Somnambulforscher behaupten, daß ein Trance- Geber mit seiner Nummer nur da landen kann, wo auch ein Trance- Nehmer willens ist. Jedenfalls gehört es zur volkswirtschaftlichen Ritualbasis, daß alle hart an ihrer gemeinsamen Hypnose arbeiten.

Eine Weile klappt der Systemschlaf auch, doch irgendwann gibt es Löcher im Profit, die sich weder mit kapitalistischen noch sozialistischen Trance-Induktionen stopfen lassen. Folge: Den Arbeitstrance-Junkies wird der Stoff kanpp (gemacht), weshalb sie zeitweilig sogar aufwachen, um für den Erhalt ihrer altehrwürdigen Hypnosen zu streiken. Andere wiederum sagen dem Lohn-für- Trance-Deal insgesamt Adieu, seit sie auf Unterhaltsameres gestoßen sind; Mayday-Parties etwa, wo sich Zigtausend half dancing, half dreaming in andere Bewußtseinszustände wippen.

Vielleicht bewirkt ein evolutionärer Drift, daß mehr und mehr Leute bereit sind, für selbsterfundene Trancen noch draufzuzahlen, während sie im fremden Tran auch bei Spitzenlohn und Kündigungsschutz nicht mehr zu halten sind. Aus diesem Grund bieten wir — im Traum — luzide Umschulungen an. Tenor: Wenn dich eine trübe Trance verzehrt, bestreike sie, und schau dich schleunigst nach Alternativen um. Es lohnt sich. Im privaten wie im volkswirtschaftlichen Trance-Meer.

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