piwik no script img

ZWISCHEN DEN RILLEN VONHARALDFRICKE

Alles, was von der heutigen black community übrigbleibt, wenn man den Bandenkrieg um Smack, Ice oder Crack und die übersignifikante Sexualität als letztes Kennzeichen verhinderter Sozialität abzieht, scheint auf eine einzige Tracy-Chapman-Platte zu passen. Es hat jedenfalls der weißen Fachwelt gereicht, um sie zur größten schwarzen Folksängerin emporzuheben, auch wenn bei ihr die Probleme am Horizont leuchten wie Sterne in Spielberg-Filmen. Wohin mit der Aufrichtigkeit? Leider hat sich die Frau mit der markigen Stimme genügsam in ein solchermaßen konstruiertes Reservat zurückgezogen, abgetrennt von jedwedem nennenswerten Sinnzusammenhang. Ihre neue LP versagt vor den wirklich diskutierbaren Symbolen, an denen täglich die Krise in den USA offenbar wird. Die „Fast Cars“ sind verschwunden. Statt dessen dichtet und deutet Tracy Chapman auf Matters Of The Heart an einer blutleeren, traurigen Welt herum, als hätte sie in letzter Zeit den heimischen Korbstuhl nicht verlassen.

Von Träumen und Wünschen ist dabei ständig die Rede, irgendwie müssen bunte Blumen für die Nachgeborenen gerettet werden. Und während sie solches selbstvergessen mit gezupfter Wandergitarre begleitet, macht man es sich vor dem CD-Player gemütlich. Ein ganzes Dutzend gestandener Studiomusiker (von Tony Levin am Baß bis Waddy Wachtel an der elektrischen Gitarre) hat nicht eine einzige Mainstream-Floskel ausgelassen, um Frau Chapman für den Rundfunkalltag auch weiterhin konkurrenzfähig erscheinen zu lassen. Offensichtlich haben die Herren Musiker sich dabei rigoros vom ganzheitlichen Schweinerock eines Bruce Springsteen leiten lassen und weniger auf die brüchige Stimme der schwarzen Sängerin gehört. Zwischen Adult Oriented Rock, Country und Weltmusikklängen lösen sich die Restbestände an Aufrichtigkeit in kraftvollen Kadenzen auf. „I used to be a sailor/ Who sailed across the seas/ But now I‘m just an island/ Since they took my boat away from me“, so fabuliert Chapman mit dem ihr eigenen bodenständigen Blick für Metaphern. Ob der Mainstream ihr tatsächlich einen Halt geben kann? Noch trennen sie davon (Innen)Welten.

***

Mit gezielten Kreisbewegungen segelt dagegen Keziah Jones vom Wildwasser des Street-Funk ins offene Meer der Industrie, läßt die Bedenklichkeit von Afrocentricity und Authentizität links liegen und zitiert clevere Zitate. Ein Überflieger. Blufunk is a Fact! verkündet das Debüt des farbigen Engländers, und er soll am Ende damit Recht behalten. Funk ist, wenn der Rhythmus sich merkwürdig verbiegt, wenn der Schlagzeuger 7/8-Takte gerade sein läßt und die Eins trotzdem im Sinn behält. Da wird nicht gezählt, sondern getanzt. Aus diesem Grunde bemüht sich Jones nur selten um klare Songschemen und zaubert an deren Stelle mit Versatzstücken und Fragmenten. „Pleasure Is Kisses Within“, das Outro der LP ist so ein kurzer melodischer Geistesblitz. Die akustische Gitarre schwingt beiläufig über zwei Akkorde im Off, dazu hangelt sich der Newcomer an einer souligen Gesangslinie entlang, ein Klavier gesellt sich klimpernd dazu, aus und Schluß. Bei längeren Passagen kommen die gestandenen Männer der schwarzen Musik zur Hilfe. Den Trick mit dem plötzlichen Stimmungs-Umbruch hat er von Sly Stone, die „gelb“ intonierten Backingvocals klingen waschecht nach geschmeidigem DooWop oder Gospelstunde in der Machart Stevie Wonders. Manche der Anleihen greifen bereits in den Fundus der allerjüngsten Vergangenheit. Prince, Terence Trent D'Arby oder selbst Lenny Kravitz werden als etablierte Resteverwerter augenzwinkernd recycelt.

„Because the wisdom, behind the smile, is called ,cash‘“, singt Jones an einer Stelle über das Sich-treiben-Lassen im Poplife, äußerst einsichtig, um danach selbst wieder in Schizoströmen wortmalerisch abzuschweifen. Rastlos stellt sich niemals eine verbindliche Identität her, wie sie der bürgerlichen Tracy Chapman so viele Sorgen bereitet. Es reicht, wenn der Körper in Bewegung bleibt, Text wird: „thefunderlyingundermentalsofblufunk“ ist dann Titel eines Songs und Programm zugleich. Damit sind alle Politics bezeichnet, „of sex, of the soul, of the spirit, of the mind“. James Brown wird sich über den Nachwuchs freuen. Und Tracy Chapman sollte entweder häufiger auf die Straße gehen oder schwimmen lernen.

Tracy Chapman: Matters of the Heart. (Elektra/Warner Bros.)

Keziah Jones: Blufunk is a Fact! (Delabel/Virgin France).

CHAPMAN,DIEDRITTE.RESTBESTÄNDEANAUFRICHTIGKEITINKRAFTVOLLENKADENZEN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen