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Im A-Train durch die Swing-Geschichte

■ The »Sugar Ray Lennard Ballroom Show« gastiert mit Posaune und Trompeten im BKA-Zelt

Ein etwas heruntergekommener Ballroom irgendwo in New York. An den kleinen runden Tischchen sitzen verliebte Pärchen vor ihrem Copa Cabana, Herren kämmen sich verschämt das ölige Haar nach hinten, ihre Begleiterinnen prüfen den Sitz der rückwärtigen Strumpfnaht. Dann geht das Licht aus, man hört von der Bühne leise »eins, zwei, einszwei«, und ab geht der »Night Train« der »Sugar Ray Lennard Band«. Sieben virtuose Musiker in Nadelstreifen und Gamaschenschuhen sorgen in Nullkommanichts für Stimmung auf der Bühne, unter den kleinen Tischchen beginnen die Pumps zu wippen. »Gut'n Abend, schön'n Abend, sehr schön'n Abend«, wünscht uns Brother Lenni, der — auch etwas ölige — Bandleader in die noch austänzelnden Töne von Nicks Piano hinein. Viel mehr braucht es nicht als Begrüßung, denn schon schaltet sich Pete, der coole Bassist mit den dunklen Augengläsern, wieder in die Swingakkorde ein. Die Drums wachen auf — Hello David! —, Thommy und seine Gitarre lassen sich nicht lumpen, und auch die Posaune von Brother Ralf meint jetzt wieder mitreden zu müssen. Miß Susan tritt ins Scheinwerferlicht und fühlt sich in ihrem schulterfreien Traum aus rosa Tüll Almost like being in Love.

Jetzt müßte eigentlich Robert de Niro zur Tür hereinkommen, sich Marcs Saxophon greifen, und dann gäbe es unten vor den Copa Cabana endgültig kein Halten mehr. Die Tischchen würden beiseite geräumt, gutaussehende junge Männer suchten sich gutaussehende junge Damen für einen schweißtreibenden Jive. Der verrauchte Ballroom verfiele ins Swingen und bliebe dort bis zum Morgengrauen. Nur Liza säße, lächelnd auf ihren dicken Bauch schauend, am Rande und wüßte, daß dieser Abend mit ihrer einzigartigen Stimme vielleicht noch um eine kleine Spur großartiger wäre...

Leider ist Berlin nicht New York, das BKA-Zelt kein heruntergekommener Ballroom und das Leben kein Filmklassiker von Martin Scorsese. Auch die Sugar-Ray-Lennard-Band ist nicht, was sie auf den ersten Blick verspricht — und das ist vielleicht die größte Enttäuschung des Abends. Dabei hat die Truppe unzweifelhaft das Zeug zu einer ganz großen Show: sieben virtuose Jazzmusiker, zwei großartige Soulstimmen, ein Repertoire wunderbarer Swing-Klassiker und diesen Spaß am Musikmachen, der so selbstverständlich ein Bläsersolo nach dem anderen evoziert.

Wenn Miß Susan und ihr blonder Begleiter vor die Mikrophone treten und die Show mit dem Sugar Ray Boogie eröffnen, könnte das der Beginn einer perfekten Illusion sein. Aber zur optisch durchkomponierten Zeitreise in die vierziger Jahre der Harlemer Ballroomshows, zur visionären Augenweide, die die bekannten Songs zum großen Ereignis machen würden, kann sich auf der Bühne niemand durchringen: Die Bläser quatschen zwischendurch ungeniert beiseite. Wer gerade keinen Einsatz hat, raucht genüßlich eine Zigarette. Während die dümmlichen bis dummen Conférencen endlich einen holprigen Übergang vom einen Lied zum anderen geschafft haben, könnten Bass und Gitarre schon eine Runde Bauernskat gespielt haben. Das hat mit der lockeren Atmosphäre verrauchter Jazz-Kneipen nicht viel zu tun. Das ist eben doch nur eine Form von Unlust.

Die Erlösung kommt immer dann, wenn die Band endlich wieder in die Tasten und Saiten greift, wenn sich die sieben Musiker zusammenreißen und sich auf das besinnen, was sie wirklich können: gute Musik machen. Dann atmen auch die wenigen Pärchen unten an den kleinen Tischchen auf, swingen und schnipsen im Takt, nippen an ihrem Weinglas und fragen sich vielleicht, ob man den blonden Hanswurst dort oben am Mikrophon wegen seiner wunderbaren Singstimme dann doch nicht zum Teufel jagen sollte.

Im Herbst wird es von der Sugar- Ray-Lennard-Band eine CD geben, heißt es. In der Annahme, daß dort weniger Klamauk, dafür mehr Musik gemacht wird, sollte man sich die Platte einmal in Ruhe anhören. Die »Sugar Ray Lennard Show« allerdings ist nur Leuten mit harten Nerven und viel Liebe zur Swingmusik zu empfehlen. Klaudia Brunst

The »Sugar Ray Lennard Ballroom Show« noch bis zum 17. Mai um 20.30 Uhr im BKA-Zelt an der Philharmonie.

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