: Grün wird alle graue Theorie
■ An der Bremer Universität hat ein Wissenschaftsladen aufgemacht / Wissen für alle
An der Uni treibt eine gefährliche Infektionskrankheit ihr Unwesen: Der Theoriebazillus geht um. Da werden wissenschaftliche Texte gewälzt, die keiner versteht, und von den StudentInnen in wissenschaftlichen Texten analysiert, die auch keiner versteht. Und die Lehrinhalte haben nix mit dem Leben als solchem zu tun.
Das zu ändern haben sich 12 StudentInnen aus verschiedenen Fachbereichen auf die Fahnen geschrieben und am Montag den „Wissenschaftsladen Bremen“ eröffnet — heraus aus dem Frust des Elfenbeinturms mit dem erklärten Ziel, den „ganz normalen“ BürgerInnen und Initiativen Wissenschaft und Forschung nahezubringen und in der Praxis anzuwenden.
Da will zum Beispiel die alte Dame von nebenan wissen, ob ihre Mikrowelle gesundheitschädlich ist — sie ruft im Wissenschaftsladen an, und die MitarbeiterInnen graben eine Arbeit aus dem Fachbereich Physik der Bremer Uni zu diesem Thema aus. Oder eine Bürgerinitiative will verhindern, daß eine Straße durch ihr Viertel gebaut wird — „Wir würden hier versuchen, eine Lehrveranstaltung anzuleiern, in der eine Alternativplanung erarbeitet wird“, erklärt Heike Wiesner, Sozialwissenschafts- Studentin. An dieser Veranstaltung könnten die Mitglieder der BI teilnehmen — Uni für alle. Und das Ganze wird die Ratsuchenden keinen Pfennig kosten.
Die Idee des Wissenschaftsladens stammt aus den 70er Jahren, an der Bremer Uni existiert sie seit zwei Jahren. „Und wir rennen damit bei HochschullehrerInnen und StudentInnen offene Türen ein“, sagt Volker Donk, ebenfalls Sozialwissenschaftler. Vor einem halben Jahr machten die StudentInnen einen Probedurchlauf: Unter der Angabe einer privaten Telefonnummer boten sie ihre Dienste an. „Da stand drei Tage lang das Telefon nicht still“, erzählt Heike Wiesner. Jetzt hat der Wissenschaftsladen sein Quartier im Dienstzimmer des Sowi-Professors Stefan Quensel gefunden, der für die gute Idee ein bißchen beiseite gerückt ist. Nur vorübergehend, wie die StudentInnen hoffen: Am liebsten hätten sie ein eigenes Büro an der Uni und eins mitten in der City.
Die Idee des Wissenschaftsladens besteht aber nicht nur daraus, den Wissenspool der Uni besser zu nutzen. Die Themen werden durch Anfragen bestimmt — wenn es sich um größere Themenkomplexe handelt, soll geforscht werden — die HochschullehreInnen sollen animiert werden, Lehrveranstaltungen zu diesen Themen abzuhalten, StudentInnen könnten ihre Diplomarbeiten dazu ausarbeiten.
Größtes Hindernis auf dem Weg zur „Wissenschaft für alle“: Aus Jux und Dollerei sind die wenigsten StudentInnen dazu zu bewegen, sich mit interessanten Themen außerhalb ihrer Pflicht- Veranstaltungen zu kümmern — wegen Brötchenverdienen. „Deshalb wollen wir, daß in diesen Veranstaltungen Leistungsnachweise erbracht werden können“, sagt Volker Donk. Das wäre in Deutschland ein Novum, in den Niederlanden nicht: Dort sind Wissenschaftsläden im Hochschulrahmengesetz verankert.
„Das ist eine echte Chance, den Lehrbetrieb interessanter zu gestalten“, findet Volker Donk. Und wie sagte schon der alte Gööte: Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum. Susanne Kaiser
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