WDR blies zur Zensur

■ „Schmidt — die Mitternachtsshow“ aus West3 gekippt

Hamburg/Berlin (taz) — Aus „inhaltlich juristischen Gründen“ hat der Westdeutsche Rundfunk am Sonntag abend kurzfristig die Unterhaltungssendung Schmidt — die Mitternachtsshow aus seinem dritten Programm gekippt. Statt dessen präsentierte die Ansagerin als schon „lange erwarteten Leckerbissen“ ein Potpourri aus Jürgen von der Lippes So isses.

Grund für die plötzliche Programmzensur: ein Plakatmotiv der deutschen Aids-Hilfe auf dem T-Shirt von Schmidt-Show-Moderator Corny Littmann. Das von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung finanzierte Safer- Sex-Plakat zeigt zwei Männer beim Oralverkehr. Text: „Blasen OK — raus, bevor's kommt“. Für den WDR ein klarer Fall von Pornographie und Jugendgefährdung. Schmidt-Chef Littmann sieht das anders. „Ein unglaublicher Fall von Zensur im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Außerdem erkennt man den Schwanz doch gar nicht, der ist doch im Mund.“

Der orale (Lecker-)Bissen auf dem Safer-Sex-Plakat sorgte beim WDR schon im April und Mai für Schluckbeschwerden. Bereits damals wurde das Plakat aus dem Programm der Schmidt-Show beanstandet. Alle anderen ARD-Sender (HR, SWF, SDR, SR), die die Hamburger NDR-Produktion ebenfalls in ihre dritten Programme übernehmen, haben bislang nicht gekürzt.

Anfänglich habe der WDR die Programmzensur damit begründet, nicht in ein laufendes Gerichtsverfahren eingreifen zu wollen. Hintergrund: Im Februar hatte das Bielefelder Landgericht das Aufklärungsposter, von dem selbst in Bayern bereits seit zwei Jahren 10.000 Exemplare kursieren, im Schwulenreferat der Bielefelder Uni beschlagnahmt. Seitdem läuft ein Prozeß wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Schließlich habe der WDR diese unhaltbare Begründung aufgegeben und argumentiere inzwischen mit Paragraph sechs, Absatz zwei, des WDR-Gesetzes, erklärt Littmann. Darin geht es um das „körperliche, geistige oder seelische Wohl von Kindern und Jugendlichen“.

„Ich finde es pornographisch, daß immer mehr Jugendliche mit Aids in den Krankenhäusern liegen“, so Littmann zum Stichwort „körperliches Wohl“. Aufgrund der wechselnden Begründungen hege er den Verdacht, daß dem normalerweise gar nicht so prüden WDR in diesem Fall „jedes Mittel recht“ sei, um das Plakat zu boykottieren. Als Drahtzieher sieht er den neuen Unterhaltungschef des WDR, Axel Beier. Littmann: „Der will bloß nicht in den Verdacht kommen, die Schwulen zu protegieren...“ Marc Fest