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Rio-Gipfel im Schatten des Geldes

Finanzverhandlungen gehen hinter den Kulissen weiter/ Deutsche Zusagen enttäuschend, Kohl legt nichts zu/ Keine EG-Einigung über Entwicklungshilfeformel  ■ Hermann-Josef Tenhagen

Rio de Janeiro (taz) — Während die Staatschefs schon ihre vorbereiteten Redemanuskripte verlesen, wird auch am Freitag hinter den Kulissen des UN-Gipfels für Umwelt und Entwicklung (UNCED) noch immer um die zentrale Frage gepokert: das Geld. Die Verhandlungsrunde in der Nacht hat sich nicht einigen können. Jetzt hat der niederländische Entwicklungshilfeminister Jan Pronk den Auftrag, bis zum Abend eine Kompromißformel auszuarbeiten, die dann verabschiedet werden kann. Die Niederländer zahlen als eines von wenigen Industrieländern schon heute mehr als 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts an Entwicklungshilfe.

Bundeskanzler Kohls Rede im Plenarsaal des Rio Centro reflektierte gestern morgen die nicht zustande gekommene Einigung. Kohl verspricht der Dritten Welt lediglich, die Bundesrepublik wolle „so bald wie möglich“ 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts für die Entwicklungshilfe einsetzen. Er bleibt damit schon hinter den Kompromißüberlegungen der letzten Tage zurück. Überhaupt ist Kohls Rede, auch gemessen an den in Bonn vorher geschürten Erwartungen, eine Enttäuschung. Der erhoffte und angekündigte Schuldenerlaß für einige arme, besonders verschuldete Länder der Dritten Welt findet sich in der Rede nur in einer wachsweichen Formulierung: „Weitere Entschuldungen...wollen wir gemeinsam mit anderen Staaten vornehmen.“ Ein Teil dieser Entschuldung ist als „debt for nature swaps“ geplant, hieß es vorher in der Delegation. Dabei müssen Entwicklungsländer die Schulden nicht mehr zurückzahlen, aber gleiche Mengen an Geld in eigener Währung für Umweltschutzprojekte ausgeben.

Mit der ihm eigenen Trampeligkeit berührte der Kanzler in seiner Rede dann auch noch einige wunde Punkte bei den Ländern der Dritten Welt. Zunächst erwähnte er die Belastungen für die deutsche Einheit, dann die für den „demokratischen und wirtschaftlichen Aufbau“ Osteuropas und erst ganz am Schluß der Liste ist die Bundesregierung auch bereit, „unserer Verantwortung für die Länder der Dritten Welt“ gerecht zu werden.

Einziger Lichtblick in Kohls Rede ist die Bereitschaft der Bundesrepublik, die “ Global Environmental Facilities“ der Weltbank deutlich auf 3Milliarden Sonderziehungsrechte (6Mrd. Mark) aufzustocken. Für diese Aufstockung hat gleich am Morgen Großbritanniens Premierminister John Major seine Unterstützung angekündigt. Major bekannte vor der britischen Presse auch, die Industrieländer müßten ihre eigenen Konsumgewohnheiten kritisch auf den Prüfstand stellen. „Wir müssen beides angehen, die Bevölkerungsentwicklung im Süden und das Konsumverhalten im Norden.“

Auf EG-Ebene war am Donnerstag abend der deutsche Versuch gescheitert, die Mitgliedsländer auf eine gemeinsame Position zur Steigerung der Entwicklungshilfe einzuschwören. Die EG konnte sich lediglich auf den französischen Vorschlag einigen, 3 Mrd. ECU (6Mrd. Mark) für die Agenda21 bereitzustellen, die aber großteils aus dem bisherigen Etat kommen. Dem Vernehmen nach verhandelt der Niederländer Pronk auf Basis der Formel: Das 0,7-Prozent-Ziel bis zum Jahr 2000 erreichen, oder so bald wie möglich danach.

Fortschritte, wenn auch keinen Abschluß, gab es beim energiepolitischen Kapitel der Agenda21: Dort wollen die Ölstaaten immer noch dafür sorgen, daß erneuerbare Energien möglichst teuer werden, aber der Widerstand wird deutlich schwächer. Die israelischen Bedenken gegen eine Formulierung in der Erklärung von Rio hatten in der Nacht mit einem diplomatischen Paket an Wortspielereien ausgeräumt werden können. Damit liegt den Staatschef jetzt die „Erklärung von Rio“ vor und braucht nur noch in einem förmlichen Akt abgestimmt werden. Bei dem von Brasiliens Präsident Mello am Freitag früh formell eröffneten Gipfelplenum gingen 57 Staatschefs in die Rednerbütt. US-Präsident Bush ließ sich von der allgemeinen Kritik nicht beeindrucken und blieb weiterhin stolz auf sein Land.

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