: Klinikum Steglitz und Deutsche Oper bedroht
■ Senat plant drastische Einsparungen/ BVG bereits am 1. Oktober teurer?/ SPD-Senator Meisner: »Es geht um die Existenzberechtigung der Koalition«
Berlin. Die Proteste und Warnstreiks der letzten Tage waren erst der Anfang. Vermutlich steht der Stadt ein heißer Sommer bevor. Grund: Bei den Haushaltsberatungen für 1993 plant der Senat schärfere Einschnitte, als von vielen angenommen.
So sollen die BVG-Tarife nicht erst 1993 erhöht werden, wie bisher angekündigt, sondern schon in diesem Jahr. Wahrscheinlich, so heißt es in Senatskreisen, werden bereits zum 1.Oktober die Tarife im Ostteil von 60 auf 80 Prozent des Westniveaus angehoben. Im Gleichtakt mit den Lohnsteigerungen sollen die Tarife dann ein Jahr später 100 Prozent erreichen, verabredeten die Senatoren in der Klausursitzung am letzten Sonntag. Bereits in diesem Jahr ist im Westteil ein Aufschlag von zehn Pfennig auf den jetzt drei Mark teuren Einzelfahrschein wahrscheinlich.
Und das ist erst der Anfang. Wenn der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen morgen um 14 Uhr erneut seine Senatoren zur Klausursitzung im Senatsgästehaus in der Menzelstraße versammelt, muß die Runde erneut, so ein Teilnehmer, »ein paar dicke Klötze bewegen«.
Zu diesen dicken Klötzen gehört in erster Linie das Klinikum Steglitz. Daß eins der drei Uni-Klinika der Stadt geschlossen werden muß, ist unter den SPD-Senatoren fast schon Konsens. Die im Ostteil gelegene Charité kann dabei kaum angetastet werden, ebensowenig das Rudolf- Virchow-Klinikum im Wedding, das gerade mit Millionenaufwand ausgebaut wird. Also wird es wohl das »Steglikum« treffen. Wandelt man diese Klinik in ein städtisches Krankenhaus um und streicht Forschung und Lehre, kann man 200 Millionen sparen, glaubt Wirtschaftssenator Norbert Meisner (SPD).
Noch leistet Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) Widerstand. Die Uni-Klinik heute zu schließen, bringt nach Erhardts Rechnung »in den nächsten sechs Jahren nichts«, weil Studenten und Professoren nicht einfach auf die Straße gesetzt werden können. Meisner sieht es andersrum: »Also muß man schnell anfangen.«
Erhardt bietet statt dessen freiwillig die Schließung einiger Uni-Fachbereiche an. Auf seiner Streichliste stehen die Elektrotechnik und die Studiengänge für Kunst und Musik an der Humboldt-Uni sowie der Studiengang Druck an der Hochschule der Künste.
Auch im Sozialetat wird kräftig gekürzt. Bereits am letzten Sonntag hat sich der Senat dem Vernehmen nach auf eine Streichung des sozialen Mietausgleichs im Westteil und auf eine 25-Millionen-Kürzung bei den Zuwendungsempfängern verständigt. An diesem Sonntag wird wahrscheinlich auch das Familiengeld den »Kann-weg«-Vermerk bekommen. Spareffekt: 100 Millionen Mark. Die Kita-Gebühren sollen nicht nur im Osten, sondern auch im Westteil steigen.
»Auch der Verfassungsschutz gehört in den Sparkatalog«, sagt SPD- Chef Walter Momper. Nur »ein kleiner Bereich« des Amtes sollte übrigbleiben, ansonsten müsse das Horch- und Spähpersonal »viel massiver reduziert werden« als bisher geplant.
Der Kulturetat wird ebenfalls zur Diskussion stehen. Meisner will die Frage stellen, »ob wir drei Opernhäuser brauchen« — oder ob nicht eine dieser Bühnen geschlossen werden kann. Das könnte zur Schließung der Deutschen Oper an der Bismarckstraße (Zuschuß 1992: 78 Millionen) führen, fürchtet die FDP. Grund: Deutsche Staatsoper (58 Millionen) und Komische Oper (41 Millionen) sind billiger.
Während die FDP gestern eine Opernschließung vorsorglich als »kulturpolitischen Skandal« geißelte, glaubt Meisner, daß der Senat derartige Entscheidungen jetzt treffen muß, »damit alle Bevölkerungsschichten sehen, daß es der Senat ernst meint«. Der Senat, so Meisners Klage, habe »eine Zeitlang« den Eindruck vermittelt, die finanzielle Lage »sei gar nicht so schlimm«. Dieses Bild müsse korrigiert werden.
Wenn der Senat bis zum Herbst nicht die nötigen schmerzhaften Entscheidungen zur Haushaltssanierung getroffen hat, warnt Meisner, »dann hat eine Große Koalition ihre Berechtigung verloren.« Hans-Martin Tillack
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