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Alternativen für Lateinamerikas Linke

Linke und revolutionäre Parteien debattierten über eine Neudefinition ihrer Rolle/ Die mögliche Regierungsbeteiligung in einigen Ländern erfordert vor allem Antworten auf wirtschaftliche Fragen  ■ Aus Managua Ralf Leonhard

Welche wirtschaftlichen Alternativen können wir den neoliberalen Anpassungsprogrammen, die die Völker Lateinamerikas immer ärmer machen, entgegensetzen? Dies war das zentrale Thema, das von Vertretern linker und revolutionärer Parteien des Kontinents eine Woche lang in Managua diskutiert wurde. 122 Delegierte von 61 Parteien aus 17 Ländern waren zur dritten Runde des sogenannten Forums von Sao Paulo nach Nicaragua gekommen. Hier wollten sie über eine Neudefinition linker Positionen nachdenken und gemeinsam mit den sandinistischen Gastgebern den 13. Jahrestag des Sieges der Revolution feiern. „Der schlimmste Feind der lateinamerikanischen Linken ist nicht der Imperialismus“, mahnte Gastgeber Daniel Ortega in seiner Abschlußrede, „sondern der Divisionismus“. An der Integration der progressiven Kräfte des Kontinents führt kein Weg vorbei — so lautet auch die Grundthese des Forums.

Entstanden war das Forum im November 1990 am Rande der Konvention der brasilianischen Arbeiterpartei (PT). Ihr Ziel: Die Förderung von Gedankenaustausch und Zusammenarbeit der Linken des Kontinents. Treibende Kräfte sind neben der PT die Partei der Demokratischen Revolution (PRD) Mexikos, die FSLN und die peruanische Izquierda Unida. Den teilnehmenden Parteien, mit Ausnahme der kubanischen KP, ist gemeinsam, daß sie sich in Opposition zu konservativen Regierungen befinden. Einige sind noch in der Illegalität, wie die guatemaltekische Guerillafront URNG.

Andere haben Wahlen nur knapp verloren, wie die brasilianische PT, oder wurden durch Wahlbetrug an der Machtübernahme gehindert, wie die mexikanische PRD. Wieder andere wurden abgewählt wie die FSLN.

Nur wenige Parteien haben Aussichten, in den nächsten drei Jahren an der Regierung zu partizipieren. Doch auf eine jede Eventualität, so die Veranstalter des Forums, gilt es gefaßt zu sein. Besonders auf wirtschaftliche Fragestellungen müßten konkrete Antworten von Links gefunden werden.

Diesen Anspruch hat das Treffen von Managua allerdings nicht eingelöst. Mehrere Delegierte konstatierten zwar einen Fortschritt im Diskussionsprozeß seit den Treffen von Sao Paulo 1990 und der Nachfolgetagung in Mexiko vor einem Jahr. Doch konkrete Plattformen blieb das Forum schuldig. Nicht einmal die abschließende Erklärung von Managua konnte in der ursprünglichen Fassung approbiert werden. Denn die von den mexikanischen Parteien vorgeschlagene Verurteilung der regierenden PRI und des jüngsten Wahlbetruges im Bundesstaat Michoacan fielen einem politischen Kuhhandel zum Opfer. Selbst eine Resolution zu Peru, die auch die terroristischen Methoden der Sendero-Luminoso- Guerilla verurteilt, konnte nicht einstimmig angenommen werden.

Zum Eklat kam es fast, als eine Solidaritätserklärung mit dem irakischen Volk durch einen Einschub über die Unterdrückung der Kurden relativiert werden sollte. Nach der entrüsteten Intervention eines irakischen Beobachters wurde das Papier bis zur Konsensfähigkeit umformuliert und neuerlich zur Abstimmung gebracht. Wegen dieser vorhersehbaren Probleme hätte die Arbeitsgruppe, die alle Dokumente formulieren mußte, außerlateinamerikanische Probleme am liebsten aus der Plenardiskussion ausgeklammert. „In dieser Phase der Entwicklung unserer Gruppe können solche Diskussionen der Einheit mehr schaden als nützen“, warnte Marco Aurelio Garcia, der Delegationsführer der PT.

Absolut tabu war auf dem Treffen jede Diskussion über die Situation in Kuba. Und obwohl viele Delegierte im privaten Gespräch ihre Skepsis äußerten, daß Fidel Castro noch lange durchhalten könne, gab es keine Gegenstimme, als beschlossen wurde, das nächste Treffen in einem Jahr in Havanna abzuhalten.

Zum eigentlichen Thema, den wirtschaftlichen Alternativen, blieben konkrete Vorschläge aus. Lediglich einige Grundprinzipien wurden im Abschlußdokument aufgelistet — darunter die Notwendigkeit, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung vor die wirtschaftlichen Interessen der Eliten zu stellen, die Rolle von Volksorganisationen zu stärken und die Rückkehr zu staatlichen Interventionen in Entscheidungen von nationaler Bedeutung. Die Linke der Zukunft will die Gesetze des Marktes nicht mehr neutralisieren oder außer Kraft setzen. Aber sie widersetzt sich der extremen Privatisierung von traditionellen Staatsunternehmen, wie sie in manchen Ländern des Kontinents betrieben wird.

Wo es lang gehen soll, zeigte einmal mehr Daniel Ortega auf, der die Errungenschaften von zehn Jahren revolutionärer Experimente zusammenfaßte: 140.000 Familien, rund ein Fünftel der Gesamtbevölkerung, wurden im Zuge der Agrarreform zu Landeigentümern. Armee und Polizei dienen nicht länger der Oligarchie für die Durchsetzung ihrer Interessen. Daß auch die Bevölkerung die sandinistische Epoche nicht als verlorenes Jahrzehnt sieht, zeigte die massenhafte Teilnahme am Festakt zum 13. Revolutionsjubiläum, der den besten Jahren, als die Revolution noch fest im Sattel war, um nichts nachstand.

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