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Italiens Rückkehr zum Notstand

Die Aussetzung von Verfassungsrechten soll die Mafia eindämmen/ Senat stimmt Gesetzespaket zu/ Acht Untersuchungsrichter legen ihr Amt nieder/ Ermordeter Richter Borsellino beigesetzt  ■ Aus Rom Werner Raith

Mit einer Neuauflage nahezu des gesamten Unterdrückungsrepertoires, das die Regierungen der 70er und frühen 80er Jahre gegen den Linksterrorismus angewandt hatten, sucht Italiens Regierung den aufwallenden Volkszorn nach der Ermordung der zwei fähigsten Mafia-Ermittler, Falcone und Borsellino, zu beruhigen. Im Hauruckverfahren wurde von der Regierung ein Gesetz mit massiven Strafverschärfungen und neuen Straftatbeständen beschlossen. Danach soll es nun wieder flächendeckende Razzien in ganzen Stadtvierteln oder Dörfern geben, ohne daß die Polizei dazu richterliche Anordnungen benötigt, sollen Festgenommene nahezu unbeschränkt ohne Verteidiger und rechtliches Gehör bleiben, werden „Kronzeugen“ mit noch mehr Strafnachlaß und noch besserer Abschirmung geködert, sollen eine Superpolizei und ein eigener Anti-Mafia-Geheimdienst und eine zentralisierte Super-Staatsanwaltschaft der „ehrenwerten Gesellschaft“ zu Leibe rücken. Der Senat hat gestern diesem Gesetzespaket zugestimmt, nächste Woche soll es vor der Abgeordnetenkammer verhandelt werden.

Abgesehen von verfassungsrechtlichen Bedenken mehren sich jedoch gleichzeitig auch die politischen Zweifel an der Wirkung solcher Maßnahmen, zumal ein Großteil der Normen, so der Rechtsexperte der oppositionellen Republikanischen Partei, Giuseppe Ayala — ehemals Chefankläger im ersten Großprozeß gegen die Mafia —, „schon lange vorhanden ist, nur nie wirklich durchgreifend angewendet wurde“. Das Mißtrauen auch nahezu der gesamten Presse gegenüber den neuen Maßnahmen nährt sich vor allem aus der Tatsache, daß es „ja wieder die alte Nomenklatura ist, die all das realisieren soll, und von der wissen wir seit Jahrzehnten, wie eng sie mit den Bossen und den Unterweltgruppen verfilzt ist“, so la Repubblica: „So lange hier Morde in Serie geschehen und nicht ein einziger Politiker sich dadurch zum Rücktritt genötigt sieht, wird sich nichts ändern.“

Am Donnerstag haben acht Untersuchungsrichter, die in der Mafia- Abteilung der Staatsanwaltschaft von Palermo arbeiten, ihr Amt niedergelegt. Auch sie kritisieren insbesondere den „mangelnden politischen Willen und die Ineffizienz der Regierung“ im Kampf gegen die Mafia.

Der ermordete Richter Borsellino wurde gestern beigesetzt. Der italienische Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro war ebenso wie Justizminister Claudio Martelli und Polizeichef Vincenzo Parisi als Privatperson eingeladen. Die Familie des Richters hatte ein Staatsbegräbnis abgelehnt und eine private Feier vorgezogen. Tausende nahmen jedoch an der Trauermesse im Dom teil.

Kommentar Seite 10

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