: Teilweise ironisch
■ Das Paar des Jahres: Marisa Monte & Mentor Arto Lindsay mit Brasilianischem im Tempodrom
Vielleicht ist Popmusik ein bißchen wie Tennis. Gewinnt man mit 17 Jahren in Wimbledon, ist man plötzlich ein Star. Das Alter scheint hinter dem Ruhm zu verschwinden. Gleichzeitig bleibt der Eindruck von Riesenbabys, die mit wachstumsfördernden Hormonen in die Erwachsenenwelt gescheucht werden. Da hilft auch ein auf Sexiness getrimmtes Titelbild oder verhuschte Nudelwerbung wenig.
Nun ist die brasilianische Sängerin Marisa Monte natürlich nicht Stefanie Graf. Marisa Monte begann mit 14 Musik zu studieren. Sie eiferte ihrem Vorbild, der Opernsängerin Maria Callas nach. Dann aber entdeckte sie die Vielfalt der brasilianischen Popmusik. Sie sang im Jazzmania Club in Rio de Janeiro. Irgendwann muß dann jemand gekommen sein, der vergaß, was er schöner fand: Marisa oder ihre Stimme. Man nahm eine Platte auf, die hieß wie die Frau und wie die Stimme: Marisa Monte. Innerhalb kurzer Zeit verkaufte sie sich in Brasilien 360.000mal, die Single »Bem Que Se Quis« schnellte an die Spitze der Hitparade, Marisa bekam Doppel-Platin. Sie war gerade 20 und verkaufte fast so viel wie die brasilianischen Stars Gilberto Gil oder Caetano Veloso, dessen »De Noite Na Cama« sie coverte.
Inzwischen ist sie drei Jahre älter, und sie steht auf der Bühne des Tempodroms. Schwarze lockige lange Haare, rote Lippen, bleicher Teint, ein langes schwarzes Kleid, darunter ein kurzer schwarzer Rock. Marisa singt. Die zahlreichen Brasilianer im nicht so zahlreichen Publikum werden auch verstehen, was sie singt. Ich höre nur ihre Stimme, die sich wie ein schwarzer Schleier über uns senkt. Langsame Rhythmen, ein ruhig dahingroovender Sound, der von Samba, Bossa Nova über Soul bis zu Latin Disco reicht.
Marisa streckt ihre Arme aus, ihre Hände fahren langsam über ihren Körper, sie streicht über ihre Brüste, zeichnet ihren Körper bis zu den Hüften mit ihren langen Fingern nach. Was mag sie nur singen? Ihre Stimme und ihre Art, sich zu bewegen, ziehen einen magisch an die Bühne, irgendwann steht man genau vor ihr. Zum Glück gibt es keinen Zaun und keine Ordner. Man ist quasi allein mit Marisa, das Publikum sieht man nicht mehr, und die Band vergißt man schnell. Marisa hebt sachte ihr langes Kleid, um in wohldosierten Portionen das eine oder andere schwarz bestrumpfte Bein vorzuschieben. Alles nur für mich.
So nah vor ihr spürt man aber auch, daß sie all diese Bewegungen, die aus der Entfernung so betörend wirken, einstudiert hat. Man spürt ihre Unsicherheit, man sieht Details, man hört Fehler. Auf ihren Plateauabsätzen wirkt sie plötzlich unbeholfen. Trotzdem oder gerade deshalb ist man von ihr bezaubert. Die Musik wird nur langsam langweilig.
Und dann kommt er doch noch: Arto Lindsay. Der New Yorker Krachmachgitarrist, der in Brasilien zur Welt kam (und auch jetzt wieder dort lebt), hat die zweite Platte (»Mais«) von Marisa Monte produziert. Diese Melange scheint widersinnig. Hört man aber Lindsays Alben, findet man auch dort verstärkt brasilianischen Einfluß. Der Halbbrasilianer wird von Marisa mit Küßchen begrüßt. Er trägt seine rote Gitarre wie ein Gewehr auf dem Rücken. Singt zunächst nur mit Marisa. Dann fängt er an, hektisch und lachend in die Saiten zu greifen, lachend kracht er zwischen den sauberen Latinsound. Alle versuchen »richtig« zu spielen, nur Lindsay haut dazwischen. Durch ihn wird alles zur ironischen Persiflage auf den südamerikanischen Rumba-Zauber, den man eigentlich selber auch fabriziert. Passagenweise wird sogar improvisiert oder wenigstens so getan, um das Durcheinander zu vertuschen. Arto lacht wie eine diebische Elster zu seinen genial-dilettantischen Gitarrenaffronts.
Zu jung, zu alt? Marisa Monte und Arto Lindsay sind das Paar des Jahres. Hoffentlich macht Marisa nicht irgendwann Nudelwerbung, sie hätte eher das Zeug dazu als Frau Graf. Andreas Becker
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