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„Sonderstatus“ für bosnische Moslems

■ Karadzic erlaubt Rotem Kreuz Inspektionen in serbischen Lagern/ Kämpfe greifen auf Kroatien über

Sarajevo/Zagreb (dpa/AFP/taz) — Mit einem „Erlaß“ hat der Gemeinderat des nordbosnischen Kleinstadt Celinac seine moslemischen Bewohner zu Bürgern 2.Klasse gemacht: „Menschen, die nichtserbischer Abstammung sind, dürfen sich weder in den Cafés der Stadt aufhalten noch in den Flüssen baden oder ein Auto benutzen.“ Rund acht Prozent der 19.000 BewohnerInnen wird durch einen „Sonderstatus“ außerdem verboten, zwischen 16.00 und 6.00 Uhr ihre Wohnungen zu verlassen, untersagt sind Versammlungen auf öffentlichen Plätzen.

Mit diesen Bestimmungen, die englische Journalisten vor Ort mit den Juden-Gesetzen des 3. Reiches vergleichen, wird die Diskriminierung der nichtserbischen Bevölkerung in den serbischen Gebieten Bosniens zum erstenmal „legalisiert“. Ziel des Sonderstatus scheint aber auch hier letztendlich die „ethnische Säuberung“ zu sein. Da die Moslems in Celinac inzwischen völlig isoliert sind und ihnen Kontakte zu Verwandten, die nicht in der Stadt leben, verboten sind, dürfte das Verlassen der Heimatgemeinde für sie der einzige „Ausweg“ sein. Und dieses Verlassen verbietet der Erlaß dann auch nicht, alleinige Bedingung: Die ganze Familie muß mit.

Gegen die Vertreibung der Moslems hat sich am Wochenende der jugoslawische Präsident Dobrica Cosic gewandt. Hinter der „ethnischen Säuberung“ stehe eine „unmenschliche, faschistische Ideologie“, deren Verwirklichung eine „Katastrophe ohne Ende heraufbeschwören“ müsse. Obwohl der serbische Schriftsteller sich bisher stets dafür eingesetzt hatte, daß alle Serben in einem Staat leben sollten, bezeichnete er nun die Besetzung von 65 Prozent des bosnischen Territoriums durch die serbischen Truppen als „nicht gerechtfertigt“. Die Zukunft Bosniens sieht aber auch er in der von der bosnischen Regierung abgelehnten „ethnischen Kantonalisierung“.

Verhandlungsbereit zeigte sich am Wochenende der Führer der Serben in Bosnien, Radovan Karadzic. Unter dem Eindruck der weltweiten Empörung über die serbischen Lager ordnete er nicht nur die Freilassung aller Kranken und über 60 Jahre alten Gefangenen an, sondern schlug auch vor, diese Lager dem Internationalen Roten Kreuz (IKRK) zu unterstellen. Mit der Inspektion der Lager will das IKRK „innerhalb der nächsten Tage“ beginnen.

Gleichzeitig spielte Karadzic der bosnischen Regierung und der UNO geschickt den Schwarzen Peter zu: Eine Auflösung der Lager sei nur möglich, wenn auch die andere Seite dies tue. Karadzic anklagend: Obwohl er bereits Mitte Juli Hilfsorganisationen über die Mißhandlungen serbischer Gefangener in kroatischen und bosnischen Lagern informiert habe, reagiere der Westen lediglich auf Nachrichten über serbische Lager „fast hysterisch“.

Dementiert hat Karadzic außerdem die von der bosnischen Regierung angegebene Zahl von über 100 serbischen Lagern mit 100.000 Insassen. Statt dessen würden in 13 „Gefängnissen“ etwa 8.000 Kriegsgefangene festgehalten. Ein Eingreifen des Auslandes in den Bürgerkrieg in Bosnien bezeichnete der Serbenführer als wenig erfolgversprechend. Auf eine Intervention würden seine „Kämpfer“ mit folgender Strategie reagieren: „Wir tun zunächst gar nichts. Wenn die bombadieren, werden wir uns verkriechen samt unserer Ausrüstung. Wir haben hervorragende unterirdische Bunker. Aber dann werden wir kämpfen.“

Unverblümte Drohungen richtet auch auch der Außenminister der selbstproklamierten serbischen Republik in Bosnien an den Westen. Falls dieser militärisch interveniere, seien Serben bereit, „Kamikaze-Aktionen“ gegen Atomkraftwerke in Westeuropa durchzuführen.

Die Kämpfe in Bosnien-Herzegowina verlagerten sich am Wochenende auf den Norden der ehemaligen jugoslawischen Republik. Dort kamen am Samstag und Sonntag mindestens 35 Menschen ums Leben, Dutzende wurden verletzt. Während es in der Hauptstadt Sarajevo so ruhig blieb, daß auch die Hilfsflüge wieder aufgenommen werden konnten, bombardierten serbische Flugzeuge die Grenzstadt Bosanski Brod an der Save. Bomben fielen auch auf das gegenüber am kroatischen Save-Ufer liegende Slavonski Brod, heftig umkämpft ist weiterhin das ostbosnische Gorazde. her

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