Ein- und Ausblicke in die Arbeitswelt (II) : „Sexarbeit ist tatsächlich Arbeit“
2007 nahm Lady Velvet Steel erstmals eine Peitsche für Geld in der Hand. Im Interview spricht sie über die Subtilitäten ihrer Arbeit als Domina.
taz: Frau Freymadl, welche Fähigkeiten brauchen Sie bei Ihrer Arbeit als Domina?
Fabienne Freymadl: Als Domina muss ich in kürzester Zeit einen Sinn für die Menschen entwickeln und mich dabei auf meine Intuition verlassen. Empathie- und Kommunikationsfähigkeit sind also ein inhärenter Teil meiner Arbeit. Außerdem muss ich etwas von Psychologie, Sexualität und Gesprächsführung verstehen, um einen Raum zu schaffen, in dem sich Menschen mir öffnen können. Auch die Dinge, die Leute nicht sagen wollen, muss ich spüren können. Und man muss sich auch in Anatomie und Hygiene weiterbilden.
Haben Sie auch schon negative Erfahrungen gemacht?
Bemerkenswert sind die jungen Männer, die denken, es sei lustig eine Sexarbeiterin zu verarschen: sie vereinbaren voller Absicht einen Termin, um dann nie aufzutauchen. Oder vor allem der ganze Chor von Leuten, die anrufen, um sich kostenlos ihre Bespaßung abzuholen. Telefonsex ist teuer, also ruft man lieber uns an.
Was lernen Sie dadurch über unsere Gesellschaft?
Ich lerne vor allem viel über das Bild der Sexualität. Und das scheint mir ein sehr trauriges zu sein. Mir begegnen oft Menschen, die sich mir gegenüber das erste Mal öffnen – obwohl sie teilweise in langjährigen Beziehungen sind. Sie verraten mir, dass sie seit ihrer Kindheit eine Neigung haben, die sie sich nie getraut haben auszuleben. Viele sind seit zehn oder zwanzig Jahren verheiratet und können sich ihrem Partner gegenüber nicht öffnen, weil sie denken, dass das zu schlimmen Gesprächen führen könnte. Oft beginnt nach dem Abschluss eines Lebensabschnittes eine Art sexuelle Renaissance: sie beginnen, sich mit einem anderem Teil ihrer Sexualität auseinanderzusetzen und kommen dann zu mir.
Wie hängen Arbeit und Befriedigung bei Ihnen miteinander zusammen?
Genuss und Befriedigung haben viel mit meiner Arbeit zu tun. Das ist für mich nicht nur Geld. Natürlich ist es schön, Geld dafür zu bekommen – und das auch nicht zu knapp. Aber ich hatte schon andere Jobs, die gut bezahlt wurden und bei denen jeder Tag die Hölle war. Es ist für mich auch ein Genuss, nach einer anstrengenden dreistündigen Session von der Person, für die ich das inszeniert habe, zu hören: „Wow, das war unglaublich!“ Aus dieser intimen Arbeit, die ich leiste, kann ich viel mitnehmen.
Am 1. Juni 2017 tritt das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft. Wie sehen Sie diese Neuerung?
Ich sehe das Gesetz nicht als Schutz, sondern als etwas sehr Schlechtes für die Branche. Es schafft in erster Linie eine Zweiklassengesellschaft der Sexarbeit. Da haben wir auf der einen Seite diejenigen, die sich registrieren lassen können und auch müssen. Und auf der anderen diejenigen, die das aus diversen Gründen nicht können oder dürfen. Diese müssen dann trotzdem illegal arbeiten und sind natürlich vielen Formen der Gewalt ausgesetzt.
Wie wollen Sie am liebsten arbeiten?
Sexarbeit ist tatsächlich Arbeit. Auch wenn wir mit Intimität, Erotik und Genuss arbeiten, steckt dahinter unglaublich viel Wissen, Fähigkeit und Aufwand. Ich wünsche mir, dass diese Seite der Sexarbeit mehr anerkannt wird. Es gibt nichts Erniedrigenderes als wenn ein Kunde sagt: „Warum soll ich denn dafür bezahlen? Du hattest doch Spaß.“ Ja, ich habe Spaß, aber ich habe einen Dienst geleistet.
Außerdem sollten wir den Begriff „Arbeit“ von „Überleben“ loslösen. Ich bin eine Befürworterin des bedingungslosen Grundeinkommens und bin der Meinung, dass wir weltweit genug Geld und Produktionsmittel haben, um das umzusetzen. Ich glaube nicht an diese calvinistische Einstellung, dass Arbeit Lebenssinn und Lebenszweck ist. Ora et labora? Damit stimme ich nicht überein. Arbeit ist auch etwas, das der Mensch zur Sinnstiftung braucht.
Das Interview führte JOÃO DA MATA, Redakteur taz lab