Ein See hängt am Tropf

■ „Wolken über dem Baikal“, ARD, So., 22.35Uhr

Der Baikal, sagt der Biologe Slawa Maximow in gebrochenem Deutsch und mit leuchtenden Augen, ist „der schönste Platz in Welt“. Am frühen Morgen steigt er die Anhöhe hinauf und läßt den Blick über die Naturschönheiten der Taiga schweifen. Seit 30 Jahren erforscht Maximow den größten und ältesten Süßwassersee der Erde, einen der „Edelsteine dieses Planeten“. Mühelos lassen sich weitere Superlative aneinanderreihen. Der Baikal ist größer als Westeuropa, sein Wasser würde ausreichen, um alle Flüsse der Erde ein Jahr lang zu speisen. Ein Fünftel der Süßwasservorräte der Welt sind in diesem See gespeichert.

Und noch ein Superlativ: Der Baikal gehört zu den bedrohtesten Naturschönheiten der Erde. Die letzten drei Jahrzehnte der Industrialisierung haben den See in einen kolabierenden Riesentümpel verwandelt. Die Robben krepieren, die Fische stinken, die Wasserpest kolonialisiert immer größere Gebiete. Gibt es noch eine Chance für den See? Joerg Altekruse zeigt in seinem Film Menschen, die an diesem See leben und seine Zerstörung aus verschiedener Perspektive erleben.

Der gutgelaunte Müllfahrer Sascha fährt neunmal am Tag die giftigen Frachten aus dem Zellulose- Kombinat auf die Müllkippe, von wo es langsam in den Baikal sickert. Von seiner Ladung weiß er so gut wie nichts. Mit Frau und Kind teilt sich Sascha ein 16-Quadratmeter-Zimmer, sein kleines Glück. Anders als Sascha leidet der Elektriker des Werks unter der Naturzerstörung. Er schimpft wie ein Rohrspatz auf das Kombinat und arbeitet doch selbst in dieser Fabrik.

Aber keiner redet so eindrucksvoll über das „strahlende Auge Sibiriens“ wie der buddhistische Mönch der Turjaten. Der Baikal ist für die Buddhisten ein Heiligtum, und jetzt droht diesem Heiligtum der Tod. „Sind wir noch Menschen?“, fragt der Mönch. „Nein, wir sind Barbaren.“ Wortgewaltig beklagt er die ökologische Sabotage und die Verschwörung gegen das Leben.

Joerg Altekruse zeigt in seinem Film die Schönheit und die Armseligkeit des Lebens am Baikal. Dabei wird nicht nur die Öko-Katastrophe, sondern auch das politische Desaster sichtbar, das resignative Warten auf die Perestroika. 400 Jahre braucht der Baikal, um sein Wasser zu erneuern. Wie lange wird die alte sowjetische Gesellschaft für ihre Erneuerung brauchen? man