: Georgien droht mit „extremen Mitteln“
■ Trotz eines Waffenstillstandsabkommens gehen die Kämpfe zwischen georgischer Nationalgarde und abchasischen Separatisten weiter/ Sechs Mitglieder der GUS-Friedenstruppe in Süd-Ossetien getötet
Tbilissi (AP/taz) — Was als Aktion zur Befreiung georgischer Regierungsvertreter begann, droht nun in einen Krieg zwischen Georgien und der Autonomen georgischen Republik Abchasien zu münden. Nachdem bei Kämpfen zwischen der georgischen Nationalgarde und abchasischen Truppen in den vergangenen drei Tagen mindestens 21 Menschen getötet worden sind, will nicht nur der georgische Staatsratsvorsitzende Eduard Schewardnadse die Truppen in der Autonomen Republik verstärken. Mit Zustimmung der georgischen Behörden wurde außerdem ein russisches Fallschirmjägerregiment nach Abchasien gesandt. Vorgeblicher Grund laut Itar-tass: 1.700 Russen sollen vor den Feindseligkeiten geschützt werden. Doch in dem „Vielvölkerstaat“ Abchasien, der im Juni seine Unabhängigkeit von Georgien erklärt hat, leben neben 230.000 Georgiern jeweils rund 100.000 Russen, Armenier und Abchasen.
Einen Krieg befürchtet auch der georgischen Ministerpräsident Tengis Sigua, der am Wochenende zu Waffenstillstandsverhandlungen nach Abchasien gereist war. Und selbst der georgische Staatsratsvorsitzende Eduard Schewardnadse ist bereit, für die Einheit Georgiens auch „extreme Mittel“ anzuwenden. Den Einsatz der Nationalgarde bei der Suche nach den Regierungsvertretern, die in der vergangenen Woche von Anhängern des gestürzten georgischen Präsidenten Gamsachurdia entführt worden waren, bezeichnete er als „richtigen Schritt“. Noch am Samstag hatte der georgische Verteidigungsminister mit Abchasiens einen Waffenstillstand und den Abzug der rund 3.000 georgischen Nationalgardisten vereinbart.
Eine Einmischung Moskaus zugunsten Abchasiens befürchten die Georgier. Als es den abchasischen Separatisten am Samstag gelungen war, einen Hubschrauber der georgischen Nationalgarde mit einer Rakete abzuschießen, kam es in Tbilissi zu einer spontanen Demonstration. Rund 300 GeorgierInnen warfen Rußland vor, die Abchasen mit Waffen zu versorgen. Die Lage entspannte sich erst, nachdem der russische Kommandant zu den Demonstranten gesprochen hatte. Seine Version der Ereignisse: Abchasen seien in ein Waffendepot der ehemaligen Roten Armee eingebrochen und hätten dort Raketen entwendet.
Ob mit oder ohne Einmischung Moskaus — die Auseinandersetzungen zwischen Georgiern und Abchasen wurden schon immer mit viel Emotionen geführt. Nachdem im Mai 1989 30.000 Abchasier einen „Unabhängigkeitsbrief“ unterschrieben hatten, reisten georgische Nationalisten mit 30 Reisebussen quer durchs Land. An der Grenze zu Rußland stiegen sie aus, um mit einem „kollektiven Erdeküssen“ zu schwören, daß Abchasien georgisch bleibe. Auf der Rückfahrt wurden die Busse mit Steinen beworfen.
Und bereits einmal drohte der Nationenstreit zu einem blutigen Bürgerkrieg zu werden. Da die Georgier um die Sicherheit ihrer Landsleute in Abchasien nach „Massenschlägereien“ besorgt waren, machten sich im Sommer 89 Tausende Georgier an die abchasische Grenze auf. Um sie aufzuhalten, rissen Abchasier eine Brücke über den Grenzfluß Galidsa ein. Der örtliche Staatsanwalt ließ Waffen an die abchasische Bevölkerung ausgeben, die Kämpfe dauerten drei Tage, dann erst griffen Sowjettruppen ein.
Und auch diesmal begannen die Kämpfe mit einem „Grenzkonflikt“. Abchasische Einheiten wollten nicht zulassen, daß die georgische Nationalgarde bei der Suche nach den entführten Regierungsvertretern in die Autonome Republik „eindrang“.
Erneute Schießereien gab es aber auch in der zweiten Krisenregion Georgiens, in Süd-Ossetien. Dort wurden sechs Soldaten der georgischen Friedenstruppe von Unbekannten entführt und erschossen. Außerdem sei ein Zivilist getötet worden. Die russisch-georgisch-ossetischen Friedenstruppen befinden sich seit rund einem Monat in Süd-Ossetien. Seit ihrer Stationierung kamen bereits zwölf Menschen — Soldaten wie Zivilisten — ums Leben. Das zu Georgien gehörende Süd-Ossetien strebt die Vereinigung mit dem russischen Nord-Ossetien an. her
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