: Lange Nacht der Geheimsender
Zur Erinnerung eine Aktion des Medienmagazins „Radio von unten“ ■ Von Reimar Paul
Rauschen, nichts als Rauschen. Rainer Pinkau dreht den Sendeknopf noch einmal von links nach rechts. Dann, endlich, wie aus weiter Ferne ein leises Signal, eine Männerstimme in unverständlicher Sprache. „Das ist er“, sagt Pinkau. „Das ist Radio Mojahedin aus Afghanistan.“ Der Sender ist irgendwo bei Peschawar in den Bergen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet versteckt. Jeden Tag geht das Radio für eine Stunde auf Sendung — wenn das Kriegsgeschehen es zuläßt und genug Treibstoff für das Dieselaggregat vorhanden ist. Mit Reportagen von den Fronten und aggressiver Propaganda macht Radio Mojahedin Stimmung gegen das Regime in Kabul.
Radio Mojahedin ist einer von weltweit etwa hundert Untergrund- und Geheimsendern, die zumeist in den Kriegs- und Krisengebieten operieren. In Jugoslawien und im Nahen Osten, in Kambodscha, Mittelamerika und in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten. Vor allem dort, in der GUS, meint Pinkau, schössen die Piratensender geradezu „wie Pilze aus dem Boden“.
25 dieser Sender aufzuspüren und abzuhören, haben sich Rainer Pinkau und seine Kolleginnen vom alternativen Göttinger Medien-Magazin „Radio von unten“ zum Ziel gesetzt. Die von ihnen proklamierte „Lange Nacht der Geheimsender“ fällt nicht zufällig auf folgendes Datum. Genau vor 53 Jahren, am 31. August 1939, überfielen in polnische Uniformen gesteckte deutsche Wehrmachtsoldaten den Sender Gleiwitz. Ein übler Propagandatrick der Nazis, der wenige Stunden später den Zweiten Weltkrieg auslöste. Am 1.September um sechs Uhr morgens hatten alle Sender im Reich den berüchtigten Aufruf Hitlers „an das deutsche Volk und die deutschen Soldaten“ gebracht, der in der an Polen adressierten Beschuldigung gipfelte, in unerträglicher Weise die Reichsgrenzen verletzt zu haben. Seit 5.45 Uhr werde deshalb zurückgeschossen.
An diesen Jahrestag, so Pinkau, „wollen wir mit der ,Langen Nacht‘ erinnern“. Daß der Faschismus in Deutschland noch längst nicht besiegt sei, könne man derzeit wieder an der Gewalt gegen das Asylbewerberheim in Rostock erkennen. Die Leute von „Radio von unten“ hatten in den vergangenen Wochen eine Liste mit aktiven Geheimsendern und Auslandsdiensten erstellt, die zwischen 22.00 Uhr und 2.00 Uhr morgens über Kurzwelle zu empfangen waren, und sie an LeserInnen und Interessentinnen im gesamten Bundesgebiet versandt: Dazu gehörten auch Radio Kuwait, Voice of Turkey, Radio Pyongyang, Voice of Lebanon, Radio Ala aus der GUS, Radio Ukraine und Radio für Peace International. Ein mitgeschickter Sendefahrplan nannte die voraussichtlichen Frequenzen. Ab 1.20 Uhr ist auf 9.941 Kilohertz das spanische Programm von „La Voz del Cuba Independiente y Democratica“ zu hören, die „Stimme des Unabhängigen und Demokratischen Kuba“. Unterlegt von Rumba-Rhythmen, geißelt der Sprecher angebliche Menschenrechtsverletzungen der „Castro- Diktatur“ und ruft zur Befreiung der Insel auf. Rund ein Dutzend Sender unterhalten die zumeist rechtsextremen exilkubanischen Gruppen in Miami. Einige von ihnen — der bekannteste ist „Radio Marti“ — mit massiver finanzieller Unterstützung durch die US-Regierung. Die Kubaner kontern mit englischsprachigen Programmen.
Rund 60 Anmeldungen gab es für die „Lange Nacht der Geheimsender“. „Zum Mitmachen und Mithören reicht eigentlich ein kleines Küchenradio aus“, sagt Rainer Pinkau. Schon mit den in jedem Supermarkt erhältlichen, als „Weltempfänger“ etikettierten Geräten seien einige Sender bei günstiger Witterung zu empfangen. Für diejenigen Hörerinnen und Hörer, die in der „Langen Nacht“ zum 1. September das Anhören aller 25 Radios nachweisen können, bekommen das Zertifikat „Heard all stations“.
Kontaktadresse: „Radio von unten“, Weender Straße 30, 3400 Göttingen, Tel.: 0551/551 21; Fax: 0551/44 871
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