: Ich wünschte mich manchmal weit weg...
■ Über das Erleben der "Schwarzen Blöcke" bei der Demonstration in Rostock vom 29.8.92
Über das Erleben der „Schwarzen Blöcke“ bei der Demonstration in Rostock vom 29.8.92
Man würde über die starke Minderheit der „Schwarzen Blöcke“ in der Demo kein Wort verlieren, würden sie nicht durch Rücksichtslosigkeit und Militanz den Ton angeben. Sie gehören dazu und waren natürlich auch in Rostock gut vertreten. Man muß sich mit ihnen immer wieder streiten und ihnen sagen, wie nervig und problematisch man ihr Auftreten gelegentlich findet. In Rostock habe ich sie so wahrgenommen:
Sie brüllen, daß einem die Ohren schmerzen, sie tragen uniforme Garderobe, sie spielen Kasperletheater mit allerlei Kapuzen und Tüchern und skandieren Sätze, die ihre innere Verfassung spiegeln: „Ich bin nichts, ich kann nichts — gebt mir eine Uniform.“ Oder „Wir haben euch was mitgebracht — Haß!“ Und: „Schämt euch, schämt euch!“ Hilfloser Antifaschismus ist noch das Zahmste, was einem dazu einfallen möchte.
Die „Schwarzen Blöcke“ scheinen sich grundsätzlich nicht dafür zu interessieren, ob andere Demonstranten ihren Sprüchen und Handlungen zustimmen. Sie wähnen sich allein auf weiter Flur im heroischen Kampf mit allen: „Ob friedlich oder militant — wichtig ist der Widerstand.“ Im Schnitt 14 bis 18 Jahre alt, mag man ihnen kaum Verantwortungsgefühle unterstellen oder zumuten. Sie treten als Unschuld vom Lande auf: „Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt.“ Sie scheinen sich Kaffee und Südfrüchte selber zu ziehen, ihr Benzin bekommen sie offenbar direkt aus dem Bohrloch. Sie provozieren niemanden, sie werden immer nur provoziert — das kann ein Steinchen sein, das vom Kantstein fällt, dann rasen sie los wie junge Hunde, bellen laut und wollen beißen. Man entkommt ihnen nicht. Mehrfach habe ich den Versuch gemacht, in anderen Demonstrationsblöcken mitzulaufen — es war ganz unmöglich. Sie waren überall mit zwei drei Reihen und ihren dünnen Beinchen in den viel zu großen Stiefeln. Einer ihrer „Außenposten“ hakte sich unter meinen Arm. Als ich ihm sagte, daß ich nicht angefaßt werden möchte, hieß es, ich möge mich doch mal rasch „verpissen“. Es fällt schwer, ihnen ihre Sympathie für Sinti, Roma, Vietnamesen, Türken zu glauben. Es scheint in diesem Lebensabschnitt kaum etwas zu geben, das sie wirklich lieben. Sie mögen sich selbst wahrscheinlich nicht. Ihre Sätze bestehen aus abstrakten, unlebbaren Ausrufezeichen. Ihre Aktionen haben etwas Krampfhaftes, Unbedingtes, Totales. Zwischenfragen sind nicht angesagt: „Nazis raus!“ Aber wohin? Ins geliebte Ausland vielleicht? „Nur tote Arier/innen sind gute Arier/innen“ stand auf einem Transparent. Ein Nazi-Kampfbegriff wird benutzt, sein Realitätsgehalt unterstrichen. Wer das so ganz autonom zu texten meint, der weiß offenbar nicht, wessen Sprache er spricht und welche praktische „Endlösung“ er vorschlägt.
Sicher reflektieren ihre Sprüche gesellschaftliche Widersprüche, Rassismus und soziale Konflikte, aber dies alles schief und krumm bis zur Verwechslung. Ich habe einzelne in den Schwarzen Blöcken gesehen, schöne, junge Gesichter. In einem ruhigen Augenblick mag einigen von ihnen dämmern, welchen Doppelsinn das „Schämt euch“ hat, das sie den Lichtenhagenern entgegengerufen haben.
Ich wünschte mich manchmal weit weg von dieser verlärmten Veranstaltung, die ich in erster Linie als Anteilnahme mit den Flüchtlingen verstanden habe, die nur durch Zufall nicht verbrannt worden sind. Ich hatte mir eine eher stille Kundgebung Tausender vorgestellt, die die Kraft gehabt hätte, tausendfache Trauer, tausendfaches Nachdenken, tausendfaches Innehalten in Gang zu setzen, das möglicherweise auch die Anwohner hinter den stummen Fassaden erreichen könnte. Statt dessen gab es wüste Beschimpfungen, Sprechblasen ohne Wirklichkeitsgehalt und eine schamlose Demonstration von Selbstgerechtigkeit. Ernst-W.Otte, 44 Jahre
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