: Waigel will bei Flüchtlingen sparen
Erster Tag der Haushaltsdebatte/ Finanzminister Waigel spricht von „Sparhaushalt“ und will bei Asylbewerbern sparen/ Steuererhöhungen nicht ausgeschlossen/ Kritik von der SPD-Opposition ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack
Für den Aufbau in Ostdeutschland sollen nun auch die Flüchtlinge den Gürtel enger schnallen. Zu Beginn der Haushaltsdebatte im Bundestag kündigte Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) gestern einen eisernen Sparkurs an, nannte als mögliche Betroffene von neuen Kürzungen aber ausschließlich die Asylbewerber. Eine „Begrenzung des Asylantenstroms und die Kürzung der Sozialhilfe für Asylbewerber“, so Waigel, könnte auch die Kassen von Ländern und Gemeinden entlasten.
Neue Steuererhöhungen schloß der Finanzminister erneut nicht aus. Dies auszuschließen, wäre eine „Fesselung“ und eine „aufgezwungene Vorfestlegung, die keinen Spielraum für notwendige Entscheidungen mehr lassen würde“, sagte Waigel. Würden sich die Gewerkschaften bereiterklären, „zwei, drei Jahre“ lang auf einen realen Einkommenszuwachs zu verzichten, wäre dies aber die „bessere Lösung als der Rückgriff auf zusätzliche Steuererhöhungen“. Um die Schulden der DDR und der Treuhand in Höhe von mindestens 350 Milliarden Mark zu begleichen, schlug der Minister einen „Erblasttilgungsfonds“ vor. Er deutete an, daß sich auch die Bundesländer an diesem Fonds beteiligen sollten.
Den von ihm vorgelegten Haushalt für 1993 bezeichnete Waigel als „echten Sparhaushalt“. Er nannte in diesem Zusammenhang die Kürzungen im Verteidigungsetat und bei der Berlinhilfe. Den Berliner Senat, der mehrfach vergeblich gegen die von Waigel verfügten Einschnitte protestiert hatte, stellte der Finanzminister als Vorbild in Sachen Einsparungen hin: „Ich bewundere, was der Berliner Finanzsenator Pieroth auf die Beine bringt“, sagte Waigel unter Applaus der Abgeordneten.
Die in letzter Zeit diskutierten Zwangs- oder Investitionsanleihen erwähnte der Minister mit keinem Wort. Kritik richtete er an die deutschen Banken. Wenn sie ihre Werbung für den Kapitaltransfer nach Luxemburg nicht einstellten, so Waigel, könnte dies „große Verärgerung, große Verwirrung und große Enttäuschung“ hervorrufen. Der Minister kündigte an, „demnächst“ mit der luxemburgischen Regierung über dieses Thema zu sprechen.
Scharfe Kritik erfuhr der Finanzminister von der SPD-Opposition. „Wer so ausweichend antwortet, hat die nächste Steuererhöhung schon in der Tasche“, meinte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Ingrid Matthäus-Maier. Statt „abzuwiegeln, zu täuschen und zu tricksen“, sollte der Finanzminister eine ehrliche Bestandsaufnahme und Konzepte vorlegen, forderte die SPD-Politikerin. Sie erneuerte ihre Forderung nach einem Solidaritätszuschlag auf Jahreseinkommen über 60.000 Mark. Um „eine weitere Schuldenexplosion“ zu stoppen, sei eine drastischere Sparpolitik nötig, fügte sie hinzu. Mit 50 Milliarden Mark sei der Verteidigungshaushalt immer noch so hoch „wie im Kalten Krieg“. Gestrichen werden könnten auch „sündhaft teure Straßenbauprojekte“ in Westdeutschland.
Anders als Matthäus-Maier kam ihr Fraktionskollege, der IG-Chemie-Vorsitzende Hermann Rappe, der Bundesregierung gestern entgegen. Unter bestimmten Voraussetzungen seien die Gewerkschaften bereit, über eine Begrenzung des Lohnzuwachses im Westen und über den Zeitrahmen für eine Angleichung der Osteinkommen zu verhandeln, sagte Rappe in einem Interview der Neuen Osnabrücker Zeitung. In den Gesprächen über einen „Solidarpakt“, zu denen die Bundesregierung eingeladen hat, soll nach den Worten von Kanzleramtsminister Friedrich Bohl auch noch einmal über eine Investitionsanleihe gesprochen werden. Am Montag hatte es nach Protesten bei CSU und FDP so ausgesehen, als sei die Anleihe vom Tisch.
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